Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
weitermachen wollte. Ich schrieb ein M.   Ich schrieb ein A.   Ich sagte: «Das habe ich schon, Vater. Ein junger Mann weint.»
    Mit einer unwilligen Geste bedeutete er mir, ich solle Buchstaben aufsagen und ansonsten meinen Mund halten. Dann kam ein L, und ich begriff endlich. ZWEIMAL! Das war es. Und die nächsten Worte: SAGT ES TUT!
    Mutter kam ins Zimmer zurück, zuckte bei der Tür zusammen, als sie mich noch sitzen sah. Ich hatte gerade ein I hinter ein M gesetzt und wusste, welcher Buchstabe als nächster kam. R! Ich kannte sogar das nächste Wort. LEID!
    Ich wollte die Sache abkürzen und sprach Vater den kompletten Satz vor. «Es tut mir Leid.» Den Kopf bewegte er nicht, die Hand gab das Zeichen, richtig.
    «Es wurde auch höchste Zeit», sagte Mutter.
    «Halt den Mund. Der junge Mann hat also zweimal gesagt, es tut mir Leid. Hat er noch mehr gesagt, Vater?»
    «Er kann nicht reden», sagte Mutter. «Du weißt, dass er nicht kann, also quäle ihn nicht.»
    Vaters Hand signalisierte JA. Und noch einmal von vorne. Ich war überzeugt, dass es sich bei dem jungen Mann um André Menke gehandelt hatte. Doch ich hatte keine Vorstellung, was Menke bedauert und was er sonst noch gesagt haben könnte. Und wir brauchten lange, ehe es auf dem Papier stand.
    ICH WOLLTE SIE NICHT TOTMACHEN!
     
    Mir blieb nicht das Herz stehen. Ich sah weder den Schweiß auf Vaters Stirn noch die Not in seinen Augen. Ich sah nur André Menkes Hand. Sie hielt einen Süßstoffspender und drückte die Tabletten auf den Boden. Ich steckte Notizbuch und Kugelschreiber zurück in die Tasche, nahm Vaters Hand zwischen meine und drückte sie. Mutter stand am Fenster und betrachtete aufmerksam die Regentropfen auf der Scheibe.
    «Du hast dich völlig umsonst aufgeregt», sagte ich und erzählte ihm von André Menke, Nita Kolter und ihren grausamen Scherzen. Er fraß mir mit den Augen die Worte von den Lippen. Irgendwannbegann sein Mund zu zucken, seine Augen füllten sich und liefen über. Er drehte den Kopf zur Seite, hob die Linke und legte sie sich auf das Gesicht.
    Mutter sagte kühl: «Am besten, du gehst jetzt.»
    Sie hatte Recht, es wurde Zeit. Ich konnte ihn nicht weinen sehen, mochte es hundertmal Erleichterung bedeuten. Ich fuhr heim. Und wenn mir André Menke oder Nita Kolter unterwegs über den Weg gelaufen wären, ich hätte Gas gegeben und auf sie zugehalten. Danach hätte ich Klinkhammer angerufen und gesagt: «Ich habe gerade zwei Wanzen zerdrückt.»
    Ich hätte es getan. Ich sage das nicht nur so daher. Junge Menschen, die an der Welt verzweifelten? Das mochte sein. Aber das gab ihnen noch lange nicht das Recht, andere zu zerbrechen.
    Anne war schon daheim, als ich ankam. Sie half mir, rasch eine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, erzählte dabei, dass sie zufällig Udo von Wirth in der Stadt getroffen, dass er ihr angeboten hatte, sie samt ihrem Rad mitzunehmen.
    «Zuerst wollte ich nicht. Aber dann dachte ich, wo es so regnet, und es ist ja nichts dabei.»
    Danach erkundigte sie sich vorsichtig, ob ich in den nächsten Tagen Zeit fände, auch ein paar von ihren Sachen zu waschen. Noch bevor ich antworten konnte, meinte sie: «Ach lass nur, ich stopfe das gleich selbst in die Maschine. Geht ja schnell.»
    Als Jürgen kam, war der Tisch gedeckt, im Keller drehten sich ein paar von Annes Blusen und Jürgens Hemden in der Trommel. Es gab Fischstäbchen, Bauernschnitten mit Butter und grünen Salat aus dem Garten. Anne hatte den Salat übernommen.
    «Vielleicht könntest du heute Nachmittag noch ein paar Einkäufe machen», sagte Jürgen zu mir und winkte ab. «Ach, lass nur. Ich kann das auch morgen früh erledigen.»
    Er wollte einen Kaffee nach dem Essen. Aber er fragte nicht, ob ich ihn machen könnte, stand auf und tat es selbst. Anne stellte Tassen auf den Tisch, holte Milch und Zucker.
    Ach, lass nur, dachte ich, Vera muss man schonen, sie verliert so schnell den Kopf. Und endlich konnte ich sagen, was in meinem Notizbuch stand.
    «Diese Schweine», presste Jürgen hervor und brüllte los: «Was haben die in ihren Köpfen? Verdammte, dreckige Saubande!»
    Anne stand der Schock ins Gesicht geschrieben. «Ich weiß nicht», begann sie zögernd. «Aber ich glaube, Menke hätte das nicht so gesagt. Der hätte gesagt killen oder kaltmachen, aber nicht totmachen. Das klingt so altmodisch.»
    «Wenn man es einem alten Mann unterjubelt», sagte Jürgen, «klingt es genau richtig. Und so oft hast du dich doch nicht mit Menke

Weitere Kostenlose Bücher