Die Mutter
Tatsache, dass André Menke keine Papiere bei sich gehabt hatte, als man ihn fand – nach einem anonymen Anruf bei der Polizei.
Die Stimme am Telefon war nur schwer zu verstehen, aber ohne Zweifel die einer sehr jungen Frau oder eines Mädchens gewesen. Informiert hatte sie die Frankfurter Polizei um elf Uhr zweiundzwanzig, wenige Minuten bevor Vater am Telefon zusammenbrach. Und Menke war nicht, wie Klinkhammer mich bis dahin hatte glauben lassen, mit dem Bus verunglückt.
Den Bus hatte man erst am Donnerstag gefunden, irgendwo am Straßenrand abgestellt, verlassen. Im Wagen hatte die Frankfurter Polizei Blut gefunden. Und Spuren von Sperma. Und ein Fixerbesteck! Und ein bisschen Heroin auf einer alten Wolldecke, als hätte jemand mit zitternden Händen etwas verschüttet. Über das Kennzeichen hatten sie den Halter ermittelt, am Freitag zum ersten Mal bei Walter Menke angerufen. Und erst auf seine Frage nach demSohn und Übermittlung einer Fotografie hatten sie eine Verbindung zu dem Schwerverletzten hergestellt.
Das Blut im Bus, so viel wussten sie inzwischen, stammte von drei Personen, zum größten Teil von André Menke. Die zweite Person hatte das Fixerbesteck benutzt. Die dritte vermutlich den «Verkehrsunfall» heraufbeschworen.
Klinkhammer fragte nach Renas Blutgruppe. Jürgen nannte sie ihm. Damit stand fest, dass Rena im Bus kein Blut verloren hatte. Klinkhammer machte deutlich, dass er jetzt wild drauflos spekulierte. Es klang fast, als könnten wir es uns aussuchen.
Wenn man davon ausging, dass Nita Kolter das Fixerbesteck benutzt hatte, hatte Rena möglicherweise einen Mann verletzt, der sich mit Nita die Zeit vertrieb, oder Rena hatte André Menke zusammengeschlagen, nachdem der fremde Mann sich mit ihr … Fest stand, das Sperma stimmte nicht mit André Menkes Blutgruppe überein.
Ich hatte unvermittelt ein saures Brennen in der Kehle. Das halbe Frühstück stieg hoch. Ich würgte es wieder hinunter. Wilde Spekulation oder nicht. Klinkhammer sprach von einem Wagenheber als möglicher Tatwaffe.
In seiner harmlosen Version schlug Rena damit zuerst einen Freier in die Flucht, der sich mit Nita amüsierte. Anschließend drosch Rena auf Menke ein. In der Annahme, Menke getötet zu haben, warf Rena ihn aus dem Bus, setzte sich hinters Steuer und brauste mit der im Heroinrausch handlungsunfähigen Nita davon.
In Klinkhammers grausamer Version war André Menke von dem unbekannten Mann zusammengeschlagen worden. Nita wurde vergewaltigt. Was danach mit dem oder den Mädchen geschehen war, konnte man nur erraten. Aber eine von ihnen hatte es geschafft, ein Telefon zu erreichen.
Eine von ihnen, sagte er. Rena! Es musste Rena gewesen sein. Die kurze Zeit zwischen beiden Telefonaten machte es für mich so wahrscheinlich. Zuerst ein Anruf bei der Frankfurter Polizei, achtMinuten gesprochen, den Hörer eingehängt, sofort neu gewählt, der zweite Anruf daheim. Und Vater hatte in der Aufregung ihre Stimme nicht erkannt und sie missverstanden.
«Es tut mir Leid. Es tut mir Leid. Ich wollte
ihn
nicht totmachen!»
So musste es gewesen sein.
7. Kapitel
Ich wollte auf der Stelle zu Vater, nachdem Klinkhammer gegangen war. Jürgen verweigerte mir seinen Autoschlüssel. «Du bist nicht in der Verfassung, dich hinters Steuer zu setzen, Vera. Jetzt dreh nicht durch. Hast du nicht verstanden, was er sagte?»
Jürgen meinte, er hätte es verstanden. Und er tobte: «Diese Idioten! Wenn Klinkhammer sich einbildet, dass ich mir das bieten lasse, befindet er sich im Irrtum. Ich hab mir doch gleich gedacht, dass da was faul ist. Aber es war bequem, uns einzureden, sie sei mit Menke und dem Kolter-Weib unterwegs. Sie wussten genau, dass wir die Schnauze halten, solange wir daran glaubten.»
«Wieso glaubst du es plötzlich nicht mehr? Weil das, was in Frankfurt mit ihr geschieht, nicht in dein Konzept passt? Meine Tochter hat ein eigenes Pferd. Aber meine Tochter ist nicht …»
«Pferdchen», hatte Nita auf Hennessens Hof gerufen. Pferdchen! Und vor unserer Haustür hatte sie gefragt, ob Rena sich einreiten ließe. Wie hatte ich nur eine Sekunde lang annehmen können, es sei nichts weiter als eine bösartige Anspielung, weil Rena nicht in die Diele kam?
Jürgen funkelte mich an. «Reiß dich zusammen, Vera.» Mit einem bezeichnenden Blick zum Wartezimmer und gedämpfter Stimme: «Oder willst du, dass es morgen die ganze Stadt weiß? Nita Kolter hat sich aufgemacht, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten.
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