Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
Klinkhammer.
    Seine Stimme klang neutral, als er fragte: «Hat Ihre Tochter sich inzwischen bei Ihnen gemeldet?»
    «Sie haben die Null doch gesehen!»
    Noch ein Achselzucken. «So ein Ding kann man zurückspulen.» Für die nächste Frage brauchte er keine Zeit. «Sie würden uns doch informieren, wenn Sie etwas hören?»
    Ich nickte. Er schwieg, nahm einen tiefen Zug, inhalierte und ließ den Rauch in Zeitlupe wieder entweichen. Es war faszinierend,ihm zuzuschauen. Und beklemmend! Sekunden vergingen. Ich wartete auf das Poltern in der Brust, auf die Enge hinter den Rippen, aber ich hatte nur einen Knoten im Hirn.
    «Sie haben Rena gefunden?»
    Dass ich es laut aussprach, wurde mir erst bewusst, als er antwortete. «Dann hätte ich kaum gefragt, ob Sie etwas von ihr gehört haben.» Eine winzige Pause, dann fügte er hinzu: «Aber wir wissen jetzt, wo Menke ist.»
    Der Knoten in meinem Hirn löste sich, es begann zu rauschen, meine Knie wurden weich. Ich hielt es für eine Welle von Erleichterung, die mir durch Kopf und Glieder schwappte. Klinkhammer betrachtete sein Hilfsmittel, streifte etwas Asche ab und sprach weiter, langsam und bedächtig, jedes Wort sorgfältig gewählt – von Frankfurt.
    Ich war nicht geeicht auf allergische Reaktionen bei der Erwähnung einer Großstadt. Wir lebten in einem Dorf, in dem Prostitution als Krankenpflege bezeichnet wurde. Und vorher hatten wir in einer Kleinstadt gelebt, da hieß sie Begleitung. Für mich war Frankfurt die Hochburg der Bankiers. Ich sah Büropaläste vor mir, breite Straßen, schmale Straßen und viel Verkehr. Und wo viel Verkehr ist, gibt’s auch viele Unfälle. André Menke hatte einen gehabt, nun lag er in einem Krankenhaus. So viel verstand ich auf Anhieb.
     
    Mag sein, dass ich einiges missverstanden habe. Aber ich bin hundertprozentig sicher, dass Klinkhammer das Wort Verkehrsunfall benutzte.
    «War Menke allein im Auto, als es passierte?»
    Er nahm noch einen langen Zug. Ich wartete auf ein Ja. Er sagte: «Anscheinend nicht.»
    «Heißt das, die Mädchen waren bei ihm? Und wo sind sie jetzt?»
    Ein langer Seufzer. Seine Zigarette half ihm nicht weiter. Er hielt nur noch das Filterstück mit einem Aschekegel zwischen den Fingern. «Wir wissen noch keine Einzelheiten.»
    «Warum fragen Sie Menke nicht nach Einzelheiten?»
    Er lächelte dünn. «Mein Kollege ist bereits unterwegs.»
    In dem Moment sah ich im Geist ein Auto auf dem Hof halten. Rena stieg mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf der einen Seite, Olgert mit strahlendem Lächeln auf der anderen Seite aus. Er nahm sie beim Arm und führte sie aufs Haus zu. Er sagte: «Keine Angst, sie werden dir nicht den Kopf abreißen. Sie sind glücklich, dass du wieder daheim bist.»
    Ich wartete noch immer auf das Rumpeln in der Brust und begriff nicht, warum mein Herz mich im Stich ließ. Dabei war es einfach. Für Olgert hätte nicht die Notwendigkeit bestanden, sich persönlich auf den Weg zu machen, wenn es nur darum ging, André Menke nach dem Verbleib der Mädchen zu fragen. Das hätte die Polizei in Frankfurt tun können.
    Und sie hatten ihn gefragt, unter aller Garantie. Nur hatte er ihnen nicht geantwortet. Menke war ein sturer Hund, der es genoss, andere in Panik zu halten. Er würde auch Olgert nicht antworten. Auslachen würde er ihn. Such sie doch, wenn du Zeit hast, Bulle. Ich sah ihn vor mir, wie er neben Nita vor der Haustür stand, gut eins achtzig groß und schlank, ein schmales Gesicht mit einem gelangweilten Ausdruck und Überheblichkeit in den Augen. Die kurzen Haare gelb gefärbt. Gelb – nicht blond! Etliche Ringe durch Ohrmuscheln, Nasenflügel und Augenbrauen gesteckt. Ich hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. «Kann ich mit Menke reden?»
    «Das dürfte im Moment schwierig sein.» Klinkhammer legte behutsam das Filterstück in den Ascher, starrte konzentriert zum Fenster hinaus. «Sein Kiefer ist gebrochen.»
    «Dann soll er aufschreiben, wo die Mädchen sind!»
    Sein Blick fand den Weg zurück zu meinem Gesicht, die Hände den zu seinen Ohren. Wie leicht man manche Leute durchschaut. Jetzt war er Polizist. Ein Mann, der gezwungenermaßen unangenehme Nachrichten überbringen muss. «Frau Zardiss, Menke kannauch nichts aufschreiben. Er ist ziemlich übel dran.» Er zählte auf: beide Hände gebrochen, beide Arme, beide Unterschenkel, zertrümmerte Kniescheiben, diverse Rippenbrüche, Schädelbruch, Gehirnquetschung und Milzriss.
    Ich dachte: Ein schwerer Unfall.

Weitere Kostenlose Bücher