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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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zuletzt auf einem Bahnhof war. Aber so klang es nicht. Es klang eher wie eine große Gesellschaft, die geschlossen aufbrechen will und noch auf Gäste wartet, die sich verspäten. Du weißt schon, was ich meine. Eine Situation, in der ein paar Leute ungeduldig werden und andere sie beschwichtigen. Dann hört man dieses Gemurmel. Es hat auch etwas geklingelt. Und dann hat jemand gerufen: Wo bleibst du denn?, oder: Was machst du denn? ‹Du denn›, das habe ich deutlich verstanden. Und danach war es still, als hätte jemand eine Tür geschlossen.»
    Oder aufgelegt, dachte ich und empfand so etwas wie Bewunderung für Mutters Eifer und ihre Interpretation. Ich hatte nicht gewusst, dass sie so viel Phantasie besaß, aus ein paar diffusen Hintergrundgeräuschen eine Heile-Welt-Geschichte zu konstruieren. Ich unterschrieb einen Scheck, sah das reservierte Lächeln des Kassierers. Er fragte zuerst den Kontostand ab, ehe er mir das Geld aushändigte. Der Scheck war gedeckt. Es war das Geschäftskonto, der Heilige Gral, in dem die Steuergelder, die Versicherungsbeiträge, die Pacht für die Praxisräume und Jasmins und Sandra Erkens Lohn sicher verwahrt wurden. Zehntausend hatte ich auf den Scheck geschrieben.
    Entweder war mir die vierte Null versehentlich aus der Hand geflossen oder mir war schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass Vaters Scheck nicht reichte, um einen zuverlässigen Mann in eine Stadt wie Frankfurt zu schicken. Um ein Mädchen zu suchen, dass sich versteckte, weil es glaubte, einen Mann getötet zu haben. Vor einer Woche! Dass sie sich seitdem nicht mehr gemeldet hatte   … Wie mochte ihr zumute sein?
    Dir kann nichts passieren, mein Schatz. Du bist minderjährig.Niemand wird dich anklagen, nur weil du dich deiner Haut gewehrt hast. So war es doch?
    Ich wusste, was geschehen war, als wäre ich dabei gewesen. Sie war eingestiegen aus Enttäuschung und Schmerz über Matthos Verlust. Sie hatte nicht abschätzen können, wohin der Weg führte. Dann hatte sie zuschauen müssen, was mit Nita geschah. Menke beschaffte Heroin und einen Freier für Nita. Und Rena hatte begriffen, dass sie die Nächste wäre. Was sie getan hatte, war Notwehr.
    Man müsste Gedanken zu Fäden binden und gut sichtbar an eine Wolke knüpfen können. Lies, was ich dir an den Himmel geschrieben habe. Lies es, Rena, und komm heim. Niemand wird dir etwas tun, niemand wird dir Vorwürfe machen.
    Ich saß in einem Taxi, ohne zu wissen, dass ich eingestiegen war. Eine Frau steuerte den Wagen und fragte: «Ist es da vorne?»
    «Ja», sagte ich. Das Taxi hielt und ich wunderte mich, weil ich nicht daheim war. Ich zahlte, stieg aus, ging auf das Haus zu und betete, dass sie daheim war. Weil ich das nicht noch einmal tun konnte: an ihre Tür klopfen und sagen: Hilf mir! Es ist sonst niemand da, der mir hilft. Mein Vater braucht Ruhe und Schlaf. Jürgen bietet mir Valium. Anne möchte ich damit nicht belasten und meine Mutter will nichts davon hören. Hilf mir. Sag mir, dass Jürgen Recht hat. Dass meine Tochter nicht mit André Menke und Nita Kolter nach Frankfurt gefahren ist. Sag mir, sie hat dir von Mattho erzählt, von Rennbahnen und Reitställen, zu denen sie wollte. Sag mir das, bitte, bitte, bitte!
     
    Gretchen war daheim und nicht einmal erstaunt, mich zu sehen. Sie schaute dem Taxi nach und runzelte die Stirn. «Hast du dein Auto kaputtgefahren?»
    Ich schüttelte den Kopf. Sie trat von der Tür zurück und zeigte aufs Wohnzimmer. «Setz dich da rein. Ich mach dir ’n Kaffee. Oder magst du keinen?»
    «Doch.»
    «Magst du auch ’n Schnaps? Siehst aus, als könntest du einen brauchen.»
    «Ja.»
    Ich weiß nicht, wie lange ich allein im Wohnzimmer saß und den dunklen Bildschirm des Fernsehers anstarrte. Wie lange ich nackte Brüste und Männerhände darüber hüpfen sah. Und Renas von Ekel und Panik verzerrtes Gesicht. Und Mutters Blick im Krankenzimmer, wie sie zu mir aufschaute. Einen winzigen Hauch von Dankbarkeit in den Augen. Ich wusste, dass du zur Vernunft kommst, Vera. Ich erwarte auch keine Entschuldigung für deine Angriffe.
    Ich weiß wirklich nicht mehr, wie lange ich den Impuls niederkämpfte, die Flucht zu ergreifen. Was willst du hier, Vera? Willst du dir von dieser Person anhören, dass es nicht weiter tragisch ist, auf diese Weise sein Geld zu verdienen? Hast du vergessen, was Rena in ihrem Tagebuch notierte? Hennessens Ansichten über diese Art von Broterwerb: «Von etwas muss sie ja leben.» Willst du Sätze hören

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