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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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lasse?»
    «Um ehrlich zu sein», sagte Jürgen, «interessiert es mich im Moment herzlich wenig, was Patrick dir erzählen könnte. Meinst du nicht, wir hätten andere Dinge, über die wir uns den Kopf zerbrechen sollten?»
    Anne warf mir einen unsicheren Blick zu, doch so schnell gab sie nicht auf. «Das weiß ich. Und ich würde dich nicht damit belästigen, wenn ich allein damit klarkäme. Aber Udo lässt mich nicht in Ruhe. Er war heute nicht zum zweiten Mal an der Schule. Und dass es an dem Freitag ein Zufall war, glaube ich auch nicht mehr. Ich meine, wenn er aus dem Krankenhaus kam, wie er mir erzählt hat, wäre er gar nicht an der Schule vorbeigekommen. Er tut mir Leid, ehrlich, Papa. Ich verstehe, dass er jemanden sucht, mit dem er reden kann. Aber ich bin nicht Rena. Und ich will mit ihm nicht über sie sprechen. Auch nicht über seine Schwester oder seinen Schwager. Wenn du ihm sagst, er soll mich in Ruhe lassen, wird er es tun. Ich habe es versucht, aber er lässt einfach nicht locker. Er ist eben eine ganze Weile vor mir hergefahren, hat immer wieder angehalten. Ich musste jedes Mal vom Rad steigen. Einmal bin ich fast gestürzt.»
    «Jetzt mach doch kein Drama draus», fuhr Jürgen sie an. «Udo hat es nur gut gemeint. Vielleicht denkst du bei Gelegenheit einmal darüber nach, wie ihm zumute ist. Im Dorf hört er an jeder Ecke, dass Rena zu ihm wollte. Wie oft mag der arme Kerl sich wohl schon ausgemalt haben, wie wir jetzt hier säßen, wenn er daheim gewesen wäre?»
    Bevor Anne dazu kam, ihm zu antworten, stürmte Jürgen in die Diele und polterte die Treppe hinauf. Oben knallte eine Tür. Anne starrte ihm betroffen nach, blies die Backen auf, ließ die Luft langsam entweichen und erkundigte sich zögernd: «Habt ihr – etwas Neues von der Polizei gehört?»
    Ich schüttelte nur den Kopf. Dass Udo von Wirth sich bereits ausgemalt hatte, wie wir jetzt säßen, konnte ich mir nur schwer vorstellen. Es dürften Jürgens Gedanken gewesen sein. Sie in dieser Weise auszusprechen machte deutlich, wie ihm zumute war.
    Anne entdeckte das Hühnerragout. Ihre Stimme klang noch belegt und unsicher. «Hast du das für dich rausgenommen?»
    Ich schüttelte noch einmal den Kopf.
    «Kann ich es haben?»
    Das Menü in der Packung war kalorienvermindert.
    «Von mir aus», sagte ich.
    Niemand hatte darauf geachtet, dass die Mikrowelle längst abgeschaltet hatte. Anne öffnete sie, nahm die Schale mit Kassler und Sauerkraut heraus, schob ihr Ragout hinein und studierte übereifrig die Angaben auf der Packung.
    Sie hatte sich noch nicht die Zeit genommen, ihre Jacke und die Schuhe auszuziehen. Und über der Jacke trug sie ihr Regencape! Diesen neongelben Nylonumhang mit Kapuze, der sich zu einem winzigen Päckchen zusammenfalten ließ und problemlos in der Schultasche unterzubringen war.
    Ich vergaß Jürgens Gedanken und den einen Moment, wo ich geglaubt hatte zu ahnen, dass er sich ebenso mies und elend fühlte wie ich, dass er sich nur bemühte, unser Leben zusammenzuhalten.Mein Herz schwoll auf die dreifache Größe an. Ich hatte den Anker gefunden, an den ich meine Hoffnung ketten konnte.
    Renas Cape! Es musste geregnet haben an dem Montagmorgen in Frankfurt, als Menke mit dem Fremden zum Bus kam. Rena hatte ihren Umhang getragen, als sie den Reitstall verließ. Aber die Polizei hatte ihn nicht im Bus gefunden. Und in der Tüte war er auch nicht gewesen.
    Ich schnappte mir die Schale mit dem Sauerkraut und lief hinauf. Jürgen stand in unserem Schlafzimmer am Fenster, stand einfach nur da und schaute in den trüben Tag hinaus.
    «Hier», sagte ich, «iss etwas.»
    «Lass mich in Ruhe, Vera.»
    «Du musst mir das Geld zurückgeben, bitte. Ich brauche es.»
    Er schüttelte den Kopf. «Kommt nicht in Frage.»
    «Jürgen, bitte. Wir müssen etwas unternehmen.»
    Endlich drehte er sich zu mir um und lachte kurz auf. «Weißt du, wie oft ich mir in den letzten Tagen gewünscht habe, ich hätte dir damals den Gefallen getan? Eine schöne, saubere Abtreibung und ein friedliches Leben. Du hättest mich verlassen, das weiß ich. Aber wir könnten heute die dicksten Freunde sein. Und wir wären beide stolz auf Anne.»
    Ich konnte ihn nur anstarren.
    Er verzog das Gesicht, als wolle er grinsen: «Und weißt du, was ich mir im Moment wünsche? Wir hätten sie auf dem Feldweg gefunden. Von mir aus abgeschlachtet wie die Stute. Im ersten Moment wären wir beide verrückt geworden. Du wärst neben der Leiche zusammengebrochen.

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