Die Mutter
denn anderes?»
Er zuckte zusammen und fuhr zu mir herum, als ich sagte: «Du wirst ihr keinen Freibrief ausstellen.»
«Was?»
«Freda Jankowik ist schwanger. Du wirst nicht zulassen, dass sie abtreibt.»
«Sag mal, spinnst du?» Jürgen schüttelte unwillig den Kopf und sagte ins Telefon: «Entschuldigung, meine Frau ist gerade hereingekommen. – Ja, ich werde es ausrichten.» Er legte auf und sagte:«Einen schönen Gruß von Klinkhammer. Du sollst dir nicht so viele Gedanken machen.»
Meine Gedanken, fand ich, gingen Klinkhammer nichts an. «Lass mich mit ihr reden, wenn sie es nicht will.»
Jürgen nickte. «Ja, schon gut. Bist du jetzt so nett und übernimmst die Anmeldung? Schick Jasmin herein, sie soll mir helfen.»
«Nein! Das mache ich. Ich habe es immer gemacht, ich werde es auch jetzt tun.»
«Irrtum», widersprach er ruhig. «Du gehst jetzt hinaus, Vera, und setzt dich da draußen hin. Und wenn das Telefon klingelt, hebst du ab, und wenn jemand kommt, legst du die Unterlagen bereit. Du wirst auf keinen Fall daneben stehen, wenn ich Freda Jankowik untersuche. Und du wirst ihr auf gar keinen Fall von einem Kind erzählen, das du nicht wolltest, das du trotzdem bekommen hast. Das dich jetzt um den Verstand bringt. Nun geh schon.»
Er drückte auf den Knopf der Rufanlage und sagte mit seiner freundlich neutralen Arztstimme: «Frau Jankowik.»
Dann schob er mich mit den Augen zur Tür. Und obwohl Freda Jankowik die Tür hinter sich schloss, schob er mich weiter bis hinter den Tresen der Anmeldung. Dann saß ich da und dachte: Big Ben, das ist London! Rena war immer ein kleines Biest auf ihre Art. Was sie erfahren wollte, konnte niemand vor ihr verbergen. Irgendwie hat sie es herausgefunden. Dass Nita und Menke zur gleichen Zeit abhauen wollten, kam ihr sehr gelegen. Sie hat die beiden gebeten, sie bis zum Bahnhof mitzunehmen. Dann hat sie beim Aussteigen die Tüte mit der schmutzigen Kleidung im Bus vergessen. Und das Fahrrad brauchte sie nicht mehr. So könnte es gewesen sein. Mit fünfhundert Mark und dem Pass im Brustbeutel. Was kostet eine Fahrkarte von Köln nach Hamburg? Was kostet ein Flugticket von Hamburg nach London? Unsinn, Vera, denk logisch und auf kurzen Wegen. Von Köln – Bonn nach London.
Kurz nach elf rief Jürgen mich ins Sprechzimmer. Sandra Erkenkam mir mit betretener Miene entgegen und flüsterte im Vorbeigehen: «Es tut mir Leid, Frau Zardiss, wenn ich geahnt hätte …»
Jürgen hatte ihr am Donnerstag einen Scheck gegeben, um die Überstunden abzugelten. Sie war am Freitag zur Bank gegangen. Die Bank hatte den Scheck nicht eingelöst. Es war ihr sehr peinlich, dass Jürgen in ihrem Beisein telefoniert hatte, weil er sich das nicht erklären konnte.
Er saß hinter seinem Schreibtisch wie das göttliche Strafgericht. Die Finger trommelten auf der Platte. Und kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, donnerte die Faust herunter. «Hast du völlig den Verstand verloren?» Man musste ihn bis auf die Straße hören. «Wo ist das Geld? Was hast du damit gemacht?»
Nur den Tank gefüllt. Der Rest wartete in meiner Handtasche darauf, dem zuverlässigen Mann in die Finger gedrückt zu werden. Ich konnte mich doch nicht teilen. Frankfurt, das hätte ich bewältigt und Gretchen bewiesen, dass ich es länger als zwei Tage durchstand, im Dreck zu wühlen. Aber London und Frankfurt … Da wollte ich einen Mann mit eisernen Nerven in die Gosse schicken und selbst die Gegend um Big Ben absuchen.
Jürgen nahm mir das Geld weg. Als wir mittags heimfuhren, sagte ich: «Glaub nicht, dass du mich auf die Weise daran hinderst, etwas zu unternehmen. Ich habe lange genug gewartet und zugeschaut, wie die Polizei uns für dumm verkauft. Ich fahre morgen nach Frankfurt. Ich muss nicht in der Gosse anfangen. Ich werde es zuerst im Zoo versuchen.»
Jürgen konnte mir nicht folgen und ich ihm nicht. Seine Wege liefen geradeaus. Jedes Hindernis wurde frontal genommen; manchmal holte er sich blutige Knie, aber er ließ sich nicht die Seele zerkratzen. Er fragte, ob ich Hühnerragout mit Reis oder Kassler mit Sauerkraut zu Mittag essen wollte. Anne war noch nicht daheim. Es nieselte leicht.
«Du bist wie meine Mutter», sagte ich. «Was dir nicht in den Kram passt, wird einfach beiseite geschoben. Solange Kinder keineProbleme machen, ist es nett, welche zu haben. Aber wehe, es tanzt mal eins aus der Reihe, dann ist die Tür zu. Von wem hast du diese Einstellung, von Gretchen oder von
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