Die Mutter der Königin (German Edition)
Laufplanke zum Schiff hinauf. Ohne seinen Umhang, ohne seine Wärme, ohne sein Lächeln fühle ich mich ganz kalt und allein. Ich lasse ihn ziehen.
[zur Inhaltsübersicht]
Tower of London
FRÜHJAHR 1453
N ach einer Woche in Grafton kehre ich rechtzeitig zu den großen Feierlichkeiten im Tower of London an den Hof zurück, bei der die Halbbrüder des Königs, Edmund und Jasper Tudor, zu Grafen erhoben werden. Ich stehe neben der Königin, als die beiden jungen Männer zur Verleihung der Grafenwürde vor dem König niederknien. Sie sind die Söhne von Königin Catherine de Valois, der Mutter des Königs, die eine zweite Ehe einging, so unklug wie die meine. Nachdem ihr Gemahl, Henry V., starb und sie als Witwe mit einem Säugling zurückließ, zog sie sich nicht, wie alle hofften, in ein Kloster zurück und verbrachte den Rest ihres Lebens in ehrbarer Trauer. Sie ließ sich noch weiter herab als ich und fing eine Liaison mit einem ihrer Diener an, Owen Tudor, und heiratete ihn heimlich. Das führte nach ihrem Tode zu einer misslichen Situation, je nachdem, wie man die Situation beurteilte. War Tudor ihr Witwer oder ihr Entführer, und waren seine zwei Söhne die Halbbrüder des Königs von England – falls man nachsichtig war – oder zwei Bastarde einer hemmungslos ausschweifenden Königinmutter?
König Henry hat entschieden, seine Halbbrüder anzuerkennen, die Schande seiner Mutter zu leugnen und die Jungen als königliche Verwandte anzusehen. Wie sich das auf die Erwartungen derer auswirken wird, die die Nächsten in der Thronfolge sind, ist schwer abzusehen. Der König achtet den Duke of Buckingham, der sich selbst als den größten Herzog von ganz England betrachtet, doch Edmund Beaufort, den Duke of Somerset, zieht er allen anderen vor. Währenddessen ist der wahre Erbe der Einzige, der nicht hier und der am Hofe auch nicht willkommen ist: Richard Plantagenet, der Duke of York.
Ich schaue zur Königin hinüber, die sich gewiss ob ihres Unvermögens schämt, die Situation dadurch zu retten, dass sie einen Sohn und Erben hervorbringt, doch sie hat den Blick gesenkt und betrachtet ihre gefalteten Hände, sodass die Wimpern ihren Ausdruck verbergen. Ich bemerke, dass Edmund Beaufort rasch den Blick von ihr abwendet.
«Seine Gnaden erweist sich den Tudorjungen gegenüber als sehr großzügig», bemerke ich.
Bei meinen Worten fährt sie zusammen. «O ja. Nun, Ihr wisst, wie er ist. Er kann allen alles vergeben. Und derzeit hat er solche Angst vor dem gemeinen Volk und der Sippschaft der Yorks, dass er seine Familie um sich scharen möchte. Er schenkt den Jungen ein Vermögen an Ländereien und erkennt sie als seine Halbbrüder an.»
«Es ist gut für einen Mann, seine Familie um sich zu haben», sage ich fröhlich.
«Oh, Brüder bringt er zustande», sagt sie. Die Worte «aber keinen Sohn» bleiben ungesagt.
Als die Winternächte kürzer werden und die Morgen golden statt grau, erreichen uns wunderbare Nachrichten aus Bordeaux: John Talbot, der Earl of Shrewsbury, viermal so alt wie sein Page, fegt durch die reichen Städte der Gascogne, erobert Bordeaux zurück und scheint entschlossen, sämtliche englischen Besitzungen zurückzugewinnen. Dies versetzt den Hof in eine Ekstase der Zuversicht. Sie erklären, zuerst werden wir die ganze Gascogne zurückgewinnen und dann die Normandie, und Calais werde sicher sein und Richard könne nach Hause kommen. Marguerite und ich spazieren auf der Uferpromenade im Park von Westminster Palace, eingewickelt in unsere Winterpelze, doch schon spüren wir die Frühlingssonne auf unseren Gesichtern und freuen uns über die ersten Narzissen.
«Jacquetta, Ihr seid wie ein liebeskrankes Mädchen», sagt sie plötzlich.
Ich fahre zusammen. Ich habe den Fluss betrachtet und an Richard gedacht, jenseits des Meeres in Calais, und daran, wie wütend er darüber sein muss, dass nicht er den Feldzug in Bordeaux anführt. «Es tut mir leid», sage ich mit einem kleinen Lachen. «Ich vermisse ihn so sehr. Und die Kinder.»
«Er kommt bald nach Hause», versichert sie mir. «Sobald Talbot unsere Besitzungen in der Gascogne zurückgewonnen hat, können wir wieder in Frieden leben.»
Sie nimmt meinen Arm und geht neben mir her. «Es ist schwer, von Menschen getrennt zu sein, die man liebt», sagt sie. «Wie habe ich meine Mutter vermisst, als ich nach England kam! Ich hatte Angst, sie nie wiederzusehen, und jetzt schreibt sie mir, sie sei krank, und ich wünschte, ich könnte zu ihr.
Weitere Kostenlose Bücher