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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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mir den Rücken zu und wollte nicht weg. Wenn ich sie endlich bis zu Kiwons Haus gebracht hatte, wollte sie nicht aussteigen. Hatte ich es dann irgendwie geschafft, sie zu Kiwons Wohnung hinaufzubugsieren – bis dahin waren vielleicht nur noch zwanzig Minuten übrig –, spielte sie entweder keinen Ton, oder sie spielte absichtlich schlecht, falsch oder ohne Gefühl. Außerdem provozierte sie Kiwon so lang, bis diese allmählich in Weißglut geriet, und fragte dann mit aufreizender Unschuld: «Was ist? Geht’s dir nicht gut?»
    Einmal ließ Kiwon beiläufig eine Bemerkung ihres FreundsAaron ins Gespräch einfließen, der eine Übungsstunde miterlebt und gesagt hatte: «Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich nicht zulassen, dass sie sich dermaßen aufführt – so respektlos.»
    Das war ein Schlag ins Gesicht. Aaron, der immer für Lulu geschwärmt hatte, war der Inbegriff der Lässigkeit. Er war in der liberalsten und nachsichtigsten westlichen Familie aufgewachsen, in der die Kinder keinen Ärger bekamen, wenn sie die Schule schwänzten, und so gut wie alles tun durften, was ihnen einfiel. Und doch kritisierte er meine Erziehung und das Verhalten meiner Tochter – und er hatte absolut recht.
    Um dieselbe Zeit begann Lulu auch mir zu widersprechen und mir vor den Augen meiner Eltern, wenn sie zu Besuch kamen, den Gehorsam zu verweigern. Für westliche Ohren mag das nicht weiter tragisch klingen, aber in unserer Familie war es gleichbedeutend mit einer Tempelschändung. Tatsächlich war es derart weit entfernt vom Rahmen des Akzeptablen, dass niemand wusste, wie man sich verhalten sollte. Mein Vater nahm mich beiseite und drängte mich, Lulu die Geige aufgeben zu lassen. Meine Mutter ging verstört und mit verweinten Augen herum. «Du bist zu streng mit Lulu», sagte sie schniefend zu mir. «Es wird dir noch leid tun. Du musst aufhören, so unbeugsam zu sein.»
    «Wieso gehst du denn jetzt auf mich los?», gab ich zurück. «Du hast mich doch auch so erzogen!»
    «Du kannst es nicht genauso machen wie Daddy und ich», antwortete meine Mutter. «Die Zeiten haben sich geändert. Und Lulu ist nicht du.»
    «Ich bleibe bei der chinesischen Methode», sagte ich. «Die funktioniert besser. Es ist mir egal, wenn mich niemand unterstützt.»
    Meine Mutter schüttelte nur den Kopf. «Ich mache mir Sorgen um Lulu», sagte sie kläglich. «Sie hat was in ihrem Blick, das mich beunruhigt.» Das verletzte mich mehr als alles andere.
    Statt einer Aufwärtsspirale hatten wir jetzt einen Teufelskreis, der uns abwärts führte. Lulu war inzwischen zwölf und wurde immer widerspenstiger und giftiger. Sie trug tagein, tagaus eine teilnahmslose Miene zur Schau, und jede zweite Antwort von ihr lautete «nein» oder «mir egal». Meine Vorstellung von einem wertvollen Leben lehnte sie ab. «Wieso darf ich nicht mit Freunden rumhängen wie alle anderen?», fragte sie. «Was hast du gegen Einkaufszentren? Warum darf ich nicht bei einer Freundin übernachten? Warum muss jede Sekunde meines Lebens mit Arbeit ausgefüllt sein?»
    «Du bist Konzertmeisterin, Lulu», antwortete ich. «Das ist eine große Ehre für dich, und du hast eine enorme Verantwortung. Das ganze Orchester schaut auf dich.»
    Darauf antwortete Lulu dann: «Warum muss ich in dieser Familie sein?»
    Merkwürdig war, dass Lulu das Orchester wirklich liebte. Sie hatte dort viele Freunde, sie war gerne Chefin, und mit dem Dirigenten, Mr. Brooks, stimmte die Chemie, die beiden kamen bestens miteinander aus: Mehrfach sah ich sie bei Proben herumalbern und herzlich lachen – vielleicht weil Lulu weit weg von mir war.
    Unterdessen wurden die Meinungsverschiedenheiten zwischen Jed und mir immer schlimmer. Unter vier Augen sagte er mir zornig, ich müsse mich endlich mehr zurückhalten und diese absurden Pauschalurteile über «die Leute im Westen» und «die Chinesen» bleiben lassen. «Ich weiß, du denkst, du tust den Leuten einen Riesengefallen, wenn du siekritisierst, weil sie ja was draus lernen könnten», sagte er, «aber bist du vielleicht mal auf die Idee gekommen, dass man sich auch einfach nur schlecht fühlen könnte?» Seine schärfste Kritik lautete: «Warum musst du ständig in Lulus Gegenwart derart von Sophia schwärmen? Was glaubst du, wie Lulu sich dabei vorkommt? Merkst du wirklich nicht, was da passiert?»
    «Ich lehne es ab, Sophia um das Lob zu betrügen, das sie verdient hat, nur ‹um Lulu nicht zu verletzen›», sagte ich dann und legte so viel

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