Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
das üben würde, wann ich es befahl, und vielleicht außer Geige und Klavier auch noch Cello spielte.
«Wenn du achtzehn bist», schrie ich ihr nach, als sie sich abwandte und die Treppe hinaufmarschierte, «darfst du alle Fehler machen, die dir einfallen. Aber bis dahin werde ich dich nicht aufgeben.»
«Ich wäre froh , wenn du mich endlich aufgeben würdest!», schrie Lulu zurück, mehr als einmal.
Was das Durchhaltevermögen betraf, waren Lulu und icheinander ebenbürtig. Aber ich hatte einen Vorteil: Ich war die Erziehungsberechtigte. Ich hatte den Autoschlüssel, das Bankkonto, das Recht, Entschuldigungen zu unterschreiben. Und das alles nach amerikanischem Gesetz.
«Ich muss zum Friseur», sagte Lulu eines Tages.
Ich antwortete: «Erwartest du etwa, dass ich mich ins Auto setze und dich irgendwohin fahre, nachdem du so ungezogen warst und dich geweigert hast, den Mendelssohn ordentlich zu spielen?»
«Warum muss ich immer für alles eine Gegenleistung bringen?», fragte Lulu verbittert.
Am selben Abend brach ein weiterer großer Streit aus, und Lulu sperrte sich in ihrem Zimmer ein. Sie weigerte sich herauszukommen und gab keine Antwort, als ich durch die Tür mit ihr reden wollte. Viel später hörte ich von meinem Arbeitszimmer aus, wie ihre Tür aufgesperrt wurde. Ich ging hinüber und fand sie ruhig auf dem Bett sitzen.
«Also ich geh jetzt schlafen», sagte sie in gleichmütigem Ton. «Mit den Hausaufgaben bin ich fertig.»
Ich aber hörte nicht zu. Ich starrte sie nur an.
Lulu hatte sich die Haare selbst geschnitten. Auf der einen Seite hingen sie ungleichmäßig bis zum Kinn herab, auf der anderen endeten sie in einer hässlichen, gezackten Linie über dem Ohr.
Mir blieb für einen Moment das Herz stehen. Beinahe wäre ich explodiert, aber etwas – ich glaube, es war Furcht – hielt mich davon ab.
Ein Augenblick verging.
«Lulu …», begann ich.
«Ich finde kurze Haare schön», fiel sie mir ins Wort.
Ich wandte mich ab. Ich ertrug ihren Anblick nicht. Wie Sophia hatte Lulu mit ihrem Haar überall Neid erregt – eswar lang, leicht gewellt und dunkel mit einem natürlichen goldenen Schimmer und kastanienfarbenen Glanzlichtern; eine chinesisch-jüdische Spezialmischung. Ein Teil von mir wollte hysterisch schreien und Lulu den nächstbesten Gegenstand an den Kopf werfen. Ein anderer Teil wollte sie in die Arme nehmen und haltlos weinen.
Stattdessen sagte ich ruhig: «Morgen mache ich als Erstes einen Termin bei einem Frisör. Das kriegen wir schon wieder hin.»
«Okay», antwortete Lulu achselzuckend.
Später sagte Jed zu mir: «Es muss sich was ändern, Amy. Wir haben ein ernstes Problem.»
Zum zweiten Mal an diesem Abend war mir danach, haltlos zu weinen. Stattdessen verdrehte ich die Augen. «Das ist keine große Sache, Jed», sagte ich. «Mach doch nicht aus einer Mücke einen Elefanten. Ich komm schon klar.»
25 Dunkelheit
Meine kleine Schwester Katrin und ich in den frühen Achtzigern
In meiner Kindheit war es eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, mit Katrin, meiner zweiten Schwester, zu spielen. Zwischen uns gab es nie eine Rivalität oder Konflikte, was daran liegen mag, dass sie sieben Jahre jünger ist. Außerdem war sie geradezu absurd niedlich mit ihren glänzenden schwarzen Augen, der glänzenden schwarzen Topffrisur und ihren Lippen wie Rosenknospen. Auf der Straße drehten sich die Leute nach ihr um, und einmal gewann sie einen JC- Penney-Fotowettbewerb, an dem sie gar nicht teilgenommen hatte. Weil meine Mutter häufig von unserer jüngsten, mit Down-Syndrom geborenen Schwester Cindy in Anspruch genommen war, kümmerten meine erste Schwester Michelle und ich uns abwechselnd um Katrin.
Ich habe wunderbare Erinnerungen an diese Zeit. Ich war die Chefin, die alles bestimmte, und Katrin vergötterte ihregroße Schwester – es passte perfekt. Ich dachte mir Geschichten und Spiele aus, brachte ihr Himmel-und-Hölle und Doppelter-Holländer-Seilspringen bei. Wenn wir Restaurant spielten, war ich Chefin und Kellnerin, sie der Gast; wenn wir Schule spielten, war ich die Lehrerin, sie und fünf Stofftiere meine Schüler (Katrin war hervorragend in meinem Unterricht). Ich machte bei der McDonald’s-Kinderhilfe mit, um Spenden für Muskeldystrophiepatienten zu sammeln, sie besetzte die Stände und nahm Geld ein.
Fünfunddreißig Jahre später waren Katrin und ich uns noch immer sehr nahe. Von den vier Schwestern waren wir beide uns am ähnlichsten,
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