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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brett Mcbean
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den Picknickbereich und gingen am Yachtclub vorbei in den Wald. Als sie den Wald betraten, verschwand der See hinter der dichten Wand aus Bäumen. Die Luft wurde noch kälter, und das Atmen fiel Blake schwerer. Er wusste, dass es nur seine Nerven waren, obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte, weshalb er nervös war - es war ja nicht so, dass Rebeccas Leiche immer noch dort lag.
    Nach etwa fünf Minuten blieb Jane vor einer Lichtung stehen, die aussah, als nutze man sie zum Campen. Es gab genügend Platz für Zelte, und die Aussicht auf den See war spektakulär. Der Ausblick wurde von keinem einzigen Baum gestört, und der See sah riesig aus - eine weite Fläche aus perfektem weißen Nebel und toten Bäumen. Es hätte Blake nicht überrascht, hätte man ihm gesagt, dort stünden fünfhundert tote Bäume, wenn nicht sogar tausend. Sie erstreckten sich schier unendlich weit in sämtliche Richtungen. Massen von Vögeln flatterten um die Bäume herum und flogen zwischen ihren Skelettarmen hin und her. Ihr Kreischen schrillte hier noch lauter durch die Luft als vorhin am Bootssteg.
    »Ziemlich unglaublicher Anblick, nicht wahr?«, sagte Jane fröhlicher, als Blake erwartet hätte. Er wandte sich vom See ab.
    Jane sah gelassen aus, beinahe glücklich. »Dort haben sie sie gefunden; sie lag neben dem Baumstamm.«
    Blake folgte der Richtung, in die Janes Finger zeigte. Er hatte erwartet, dort mehr zu sehen, Blumen oder eine Art Denkmal. Doch dort war gar nichts, nur ein Baumstamm, der zwischen dem Dreck und den Büschen lag. Es machte Blake traurig, und er fing plötzlich an zu weinen.
    Er weinte heftig und laut, aber sobald sein plötzlicher Gefühlsausbruch vorbei war, hatte er sich beinahe so schnell wieder
    unter Kontrolle, wie es aus ihm herausgebrochen war. Er wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel seiner Jacke ab. »Es tut mir leid.«
    Jane sah ihn fragend an. »Wieso sollte Ihnen das leidtun?«
    »Na ja, das ist Ihr Schmerz, nicht meiner. Ich habe nicht das Recht, Ihnen das wegzunehmen.«
    »Unsinn. Sie haben Rebecca zwar nie kennengelernt, aber das heißt doch nicht, dass Sie ihretwegen nicht traurig sein können. Ich bin mir sicher, sie würde sich darüber freuen, was für ein mitfühlender Mensch Sie sind. Nur Menschen, die ein gutes Herz haben, würden ihretwegen weinen.« Jane schloss die Augen. Ihre Gesichtszüge entspannten sich noch mehr. Sie wirkte so voll des inneren Friedens, wie Blake sie noch nie gesehen hatte. »Ich komme oft hierher. Wann immer ich mich besonders einsam fühle oder das Gefühl habe, ich müsste aufgeben, kann ich sie hier spüren. Manchmal spreche ich mit ihr.« »Die Erinnerung an sie ist hier so stark?« »Nein, es ist ihr Geist.« »Sie meinen, sie ist noch immer hier?« »Irgendwie schon. Ich kann sie nicht sehen, nicht wie im Film - Sie wissen schon, wie diese Geister, die durchsichtig durch die Luft schweben - aber in meinem Inneren kann ich sie sehen, und ich spüre ihre Wärme. Dies ist jetzt mein liebster Platz auf Erden. Klingt seltsam, wenn man bedenkt, was hier geschehen ist, nicht wahr?«
    Blake glaubte nicht an das Übernatürliche. Er hatte nie an Geister oder Gespenster oder irgendwelche anderen Dinge geglaubt, die er nicht sehen oder anfassen konnte, aber als er nun auf den Lake Mokoan hinausblickte und sah, wie der Nebel über dem Wasser und zwischen den toten Bäumen waberte, glaubte er, irgendeine Präsenz zu spüren. Er konnte das Gefühl nicht erklären, aber er wusste, dass Jane recht hatte - hier zu stehen, entspannte ihn, und er fühlte definitiv eine Wärme, die nirgendwo sonst zu spüren war. Zufall? Spielte sein Gehirn ihm einen Streich? Oder war da etwas Ätherisches? Er wusste es nicht, aber würde es auch nicht infrage stellen.
    »Ich kann mich nicht mehr an vieles aus meinem Leben erinnern«, sagte Jane, die Augen noch immer geschlossen.
    »Aber die Dinge, an die ich mich erinnern kann, haben meistens mit Rebecca zu tun. Alberne Sachen, die damals überhaupt nichts bedeutet haben, im Nachhinein aber die Welt bedeuten. Zum Beispiel, als sie vier war und ihr My Little Pony irgendwo in unserer Wohnung verloren hatte. Sie kam weinend zu mir und sagte, sie habe >mein Ferdchen verloren< und sie wollte, dass ich danach suchte, weil es den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte und bestimmt verhungern würde. Als ich es endlich fand, drückte sie mich ganz fest. Sie ließ es nicht mehr aus den Augen, bis sie zu alt dafür wurde. Ich erinnere mich, dass sie, bis

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