Die Mutter
sie sechs war, immer wollte, dass ich ihre Hand hielt, wenn sie auf die Toilette ging. Sie hatte Angst, das Toilettenmonster könnte sie schnappen, deshalb musste ich sie festhalten und die Toilette überprüfen, bevor sie ging.
Ich weiß noch, dass wir mal in Bright zum Campen gewesen sind. Sie war vierzehn und entwickelte sich zu einer richtigen Schönheit, und ich habe sie beim Knutschen mit einem Jungen erwischt, den sie an jenem Tag kennengelernt hatte und der ganz in der Nähe mit seinen Eltern zeltete. Es war ihr so peinlich; sie hat den Rest des Tages und die ganze Nacht nicht mit mir gesprochen. Am nächsten Morgen kam sie heulend zu mir und erzählte mir, sie habe gesehen, wie Tim ein anderes Mädchen küsste. Ich hab sie in den Arm genommen und wir haben den Rest des Urlaubs über Jungs gelästert«
Jane schüttelte den Kopf. Einer ihrer Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln.
»Komisch, dass ich mich an den Namen des Jungen erinnere. Tim. Wie dem auch sei, das sind die Erinnerungsfetzen, die mir geblieben sind. Die Momente, in denen sie mich brauchte. Es machte mich ein wenig traurig, als sie älter wurde und mich nicht mehr so sehr brauchte. Es waren immer nur wir zwei gewesen, ein Team, aber als sie fünfzehn wurde, war es, als ob ich... ich weiß auch nicht, gegen ein neues, besseres Schulter-zum-Ausweinen-Modell ausgetauscht worden sei. Sie hatte ihre Freunde. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich fühlte mich wertlos. Ich weiß, dass das dumm von mir war, sogar egoistisch. Ich freute mich, dass sie sich zu einem unabhängigen, intelligenten Menschen entwickelte, und sie kam auch nach wie vor zu mir und weinte sich bei mir aus, aber eben nicht mehr so oft. Als sie starb ... nun, da war ich keine Mutter mehr, ich wurde von niemandem mehr gebraucht. Ich würde mein Leben dafür geben, noch einmal ihre Umarmung zu spüren und mich wieder gebraucht zu fühlen.«
Jane öffnete die Augen. Sie waren voller Tränen.
»Deshalb liebe ich es, hierher zu kommen. Der See mag kein besonders schöner Anblick sein, aber er bringt mich Rebecca näher. Ich vermisse sie mehr als mein Leben, aber irgendetwas zu fühlen ist besser als gar nichts, und wenn ich da draußen auf der Straße bin, dann fühle ich genau das - gar nichts. Mit jedem Tag, der vergeht, verliere ich ein bisschen mehr von mir selbst und von meiner Erinnerung. Ich habe Angst, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem ich nicht mehr das Bedürfnis verspüre, hierher zu kommen ... dass ich vergesse, dass dieser Ort existiert oder sogar, wonach ich eigentlich suche.«
»Ich bezweifle, dass das passieren wird«, beruhigte Blake sie. »Dies ist ein ganz besonderer Ort für Sie.«
»Vielleicht. Aber ich muss gestehen, dass es noch einen anderen Grund gibt, weshalb ich hierher komme. Ich hoffe, dass der Mann, der Rebecca getötet hat, hierher zurückkehrt. Ich habe gelesen, dass Mörder oft an den Ort ihres Verbrechens zurückkehren, um die Erfahrung noch einmal zu durchleben. Aber bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.«
»Sind Sie sicher, dass er sie hier umgebracht hat? Kann es nicht sein, dass er sie woanders getötet hat?«
»Das kann nicht nur sein, es ist sicher. Die Polizei hat herausgefunden, dass er sie woanders getötet hat. Aber da ich nicht weiß, wo das war, muss ich mich mit dem Ort begnügen, an den er sie anschließend gebracht hat und hoffen, dass er auch an diesen Tatort zurückkehrt. Aber hoffentlich muss ich nach heute Nacht nicht mehr aus diesem Grund hierher kommen. Und wer weiß - vielleicht folge ich Rebecca ja heute Nacht.«
»Sagen Sie das nicht. Ich sorge dafür, dass Ihnen nichts passiert.«
»Vielleicht wäre das gar nicht so schlimm. So lange er bekommt, was er verdient, bin ich glücklich. Danach wird mein Leben ohnehin keine Bedeutung mehr haben.«
»Dann dreht sich Ihr ganzes Leben nur um diese eine Sache? Gibt es denn keine Chance, dass Sie wenigstens darüber nachdenken, mit mir zurückzukommen?«
»Ich will nicht so weit im Voraus denken. Vielleicht ist er ja gar nicht der Richtige.« »Wieso sagen Sie das?«
»Keiner von uns weiß, wer dieser Junge eigentlich ist. Vielleicht lügt er uns ja an. Oder er irrt sich einfach und bringt uns den falschen Mann.«
Blake hatte gar nicht über die Möglichkeit nachgedacht, dass Mick sich irren könnte. Er hatte einfach angenommen, dass sie von demselben Mann sprachen - wie viele Menschen hatten schließlich >Stirb, Mutter< auf ihren Arm tätowiert? Aber
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