Die Mutter
Leben. Später wurde ich in die Gerichtsmedizin gebracht, um den Leichnam zu identifizieren.
Ich werde - ich kann - hier nicht ins Detail gehen. Allein, daran zu denken, bringt mich beinahe um. Das hier muss genügen: Die Leiche, die sie mir zeigten, lag auf einem Tisch in einem kalten, grell beleuchteten Raum. Es war Rebecca. Sie sah aus, als schliefe sie, aber das tat sie nicht.
Die Beamten fuhren mich nach Hause zurück, um mir ein paar Fragen zu stellen, hauptsächlich über Rebecca, ihre Freunde, warum sie getrampt war, den Streit, den wir an dem Abend gehabt hatten, bevor sie gegangen war - Dinge, über die ich schon mit anderen Polizisten gesprochen hatte. Als sie mich fragten, ob Rebecca sich an dem Tag, an dem sie aufgebrochen war, gemeldet habe, log ich und sagte ihnen, das habe sie nicht. Ich weiß nicht, wieso ich das Bedürfnis verspürte, die Nachricht geheim zu halten - vielleicht legte ich schon damals unbewusst den Grundstein für das, was einmal meine Mission werden sollte. Was auch immer der Grund dafür war, es fühlte sich nach der richtigen Entscheidung an. Ich wusste, dass ich Ärger bekommen würde, wenn sie jemals von dem Anruf erfuhren, aber das war mir egal. Nichts spielte mehr eine Rolle. Rebecca war tot, was konnte da noch Schlimmeres passieren?
Nach der Befragung teilte mir einer der Beamten mit, dass die Mordkommission den Fall Übernahm. Er sagte außerdem, wenn auch ohne allzu große Überzeugung, er hoffe, sie würden mit etwas Glück die Person finden, die dafür verantwortlich war. Ich teilte seine mangelnde Überzeugung. Sie hatten nur sehr wenige Anhaltspunkte und ich erwartete nicht, dass sich die Situation entscheidend verbessern würde.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war Rebecca von einem völlig Fremden getötet worden, einem Serienmörder - genau wie die in den Büchern und Filmen, die ich so gerne las bzw. anschaute - sodass sie Chancen, den Schuldigen zu finden, verschwindend gering waren.
Wenigstens hatte ich das Band aus dem Anrufbeantworter, das ich immer wieder abspielte, Tag und Nacht. Ich hörte es mir an, um mich Rebecca nah zu fühlen und ihre Stimme zu hören, aber ich suchte auch nach Anhaltspunkten. Ich weiß nicht, was ich zu hören hoffte - irgendetwas, wenn auch noch so unbedeutend, das mir dabei helfen konnte, den ruhigen Mann mit dem Tattoo zu identifizieren, der meine Tochter getötet hatte. Ich nahm mir bei der Arbeit frei.
Abgesehen von der Beerdigung ging ich nicht aus dem Haus. Ich verbrachte die ganze Zeit zu Hause, weinend, und in den meisten Nächten konnte ich nicht schlafen. Wenn doch, dann schlief ich immer nur sehr kurz, bis mich ein Albtraum aus dem Schlaf riss, in dem es meist um Rebecca oder Burt ging.
Wochen voller schlafloser Nächte wurden zu Monaten, aber der Schmerz nahm nicht ab. Ich fühlte mich nutzlos und unruhig. Es gab niemanden, um den ich mich kümmern, mit dem ich lachen oder weinen konnte. Niemanden, mit dem ich mir einen Film anschauen oder um den ich mich sorgen konnte. Aber was mich am meisten beschäftigte, war der Mann, der sie getötet hatte. Ich spielte das Band ab, lauschte ihrer süßen, glücklichen Stimme und stellte mir den Mann neben ihr vor, der sie beobachtete und sich in seinem kranken Hirn ausmalte, wie genau er es tun wollte.
Ich fragte mich, wie viele andere Mädchen er noch umgebracht hatte, noch umbringen würde. Die Vorstellung, ihn zu finden, entwickelte sich zum beherrschenden Gedanken in meinem Kopf.
Die Bullen hatten kein Glück bei ihrer Suche nach dem Schuldigen gehabt.
Sie wussten nichts über den Mann.
Ich schon.
Ich hatte die Macht.
Mir kam der Gedanke, dass dieser Mann, da er Rebecca mitgenommen hatte, vielleicht auch eine andere Anhalterin mitnehmen würde. Der Hume, die Straße, auf der Rebecca getrampt war, wurde von den meisten Menschen genutzt, die zwischen Melbourne und Sydney unterwegs waren.
Was, wenn dieser Typ regelmäßig auf dem Hume unterwegs war?
Was, wenn er ständig dort entlangfuhr, vorbei an den Polizeiautos, und sich ins Fäustchen lachte?
Ich konnte es vor mir sehen - das Lachen dieses grausamen, ruhigen Mannes. Dieser Mann, der meine Tochter auf so brutale Weise getötet hatte, war noch am Leben. Er war immer noch auf der Straße unterwegs, lachte - und kam damit davon. Das war nicht richtig. Das war ganz und gar nicht richtig...
HEATH, DER GESCHEITERTE EHEMANN
Heath Sangram war es gewohnt, in erstklassigen Hotels abzusteigen - mit Pfefferminzbonbons
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