Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
dem kleinen glitzernden goldenen Sinn seines Lebens hinterher.
Das war hier das wirklich Tragische. Nicht dass Balthasar sterben würde. Sondern dass er sterben würde, bevor er es gefunden hatte. Bevor er zu Ende gebracht hatte, wozu er ausgezogen war. Was zu tun er sich geschworen hatte.
Man musste sich Jerusalem aus dem Osten nähern, damit es einem so richtig die Sprache verschlug. Auf dem Weg, der einen über den Ölberg ins Kidrontal führte, sodass sich einem die ganze Stadt auf einen Blick darbot, wie sie sich aus der Wüste erhob, mit dem Großen Tempel im Vordergrund. Doch selbst hier, aus dem Norden, bot Jerusalem einen beeindruckenden Anblick.
Herodes der Große mochte für seine maßlose Grausamkeit und seinen verschwenderischen Lebenswandel berüchtigt sein. Man mochte ihn als Marionette Roms verhöhnen und wegen seiner hohen Steuern hassen. Doch selbst seine erbittertsten Feinde mussten zugeben – der Mann war ein Wahnsinnsbauherr.
Als junger König hatte Herodes gelernt, dass es keinen Skandal gab, keinen Unmut in der Bevölkerung, den nicht ein paar glänzende neue Bauwerke zum Verstummen bringen konnten. Und im Laufe seiner dreißigjährigen Regierungszeit hatte er sich dieser Philosophie bedient, um Judäa grundlegend zu verwandeln – er hatte Tempel und Amphitheater erbaut, Straßen verbessert und Aquädukte errichtet, um seine Untertanen mit frischem Wasser zu versorgen. Doch wenn Judäa sein Königreich war, war Jerusalem sein Prunksaal. Er hatte den Ort von der kleinen Stadt Salomos in eines der Wunder des Ostens verwandelt.
Seit er an die Macht gelangt war, hatte es nur selten Zeiten gegeben, in denen nicht mindestens an drei gewaltigen Bauprojekten in der Stadt gearbeitet wurde. Viele würden noch nicht einmal zu seinen Lebzeiten abgeschlossen sein. Egal. Seine jüdischen Untertanen zu besänftigen war nicht das einzige Anliegen des Herodes. Es war noch nicht einmal sein Hauptanliegen. Worauf Herodes es wirklich abgesehen hatte, war die Aufmerksamkeit Roms. Er wollte eine Stadt erschaffen, die so prächtig, so unentbehrlich war, dass selbst der mächtige Augustus stolz wäre, sie sein Zuhause zu nennen. Eine Stadt, die würdig war, »das Rom des Ostens« genannt zu werden. Und er wollte, dass seine Söhne, seine Enkelsöhne und deren Enkelsöhne sie bis in alle Ewigkeit beherrschten, wobei jede einzelne Generation den Namen des visionären Königs preisen würde, auf den das Ganze zurückzuführen war.
Und wer weiß, vielleicht würden zur rechten Zeit seine Nachfahren ihr eigenes großes Reich gründen. Vielleicht würden die Kinder des Augustus vor den Kindern des Herodes auf die Knie fallen und nicht umgekehrt.
Jerusalem war die Heimatstadt von ungefähr einhundertfünfzigtausend Menschen. Kaum mehr als ein Vorort im Vergleich zu Roms über einer Million Einwohner, doch Jerusalem war auf dem besten Weg, eine der größten Städte im ganzen Reich zu werden – Alexandria und Antiochia durchaus ebenbürtig. Und da die Volkszählung gerade auf Hochtouren lief, war die Bevölkerung auf fast das Doppelte ihrer sonstigen Größe angeschwollen.
Die Horden merkten es kaum, als man Balthasar durch die überfüllten Straßen führte – Straßen, die sich selbst zu seinen Lebzeiten drastisch verändert hatten. Wo Balthasar sich an nichts als Dreck erinnern konnte, erhob sich jetzt das Amphitheater des Herodes über dreißig Meter in die Höhe. Seine Bühne war Schauplatz der neuesten Werke aus Rom und Griechenland. Es gab die Burg Antonia, die Herodes zu Ehren seines Freundes und Gönners Marcus Antonius benannt hatte; das Denkmal für König David, der tausend Jahre vor Herodes’ Geburt von eben dieser Stadt aus regiert hatte; und natürlich den Herodianischen Tempel – das größte, atemberaubendste Wahrzeichen der Stadt.
Im Grunde selbst eine Stadt, nahm der Tempel beinahe die Hälfte von Jerusalems Ostgrenze ein. Die Außenmauern maßen vierhundertneunzig mal zweihundertneunzig Meter und erhoben sich dreißig Meter in die Höhe. Diese Mauern stützten eine Sammlung aus Innenhöfen und Gebäuden, die den glänzenden weißen Marmortempel in der Mitte umgaben. Der größte Innenhof war der Hof der Heiden mit seinen Geldwechslern und Barbieren, den in ihren weißen Gewändern herumlaufenden Priestern sowie Händlern, die den Pilgermassen Opfertiere, Essen und Andenken verkauften.
Im Zentrum des Ganzen befand sich der Tempel selbst – ein weißer Marmorturm, aus dem ständig der Rauch
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