Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
verschwunden. Doch das blieb ihr nun alles erspart. Sie hier würde für immer schön bleiben.
Wer konnte ihm außerdem verübeln, dass er derart reagiert hatte? Es waren unliebsame Neuigkeiten gewesen. Sie hatten sie in der Falle gehabt. Die Römer hatten den Geist von Antiochia und das Kind in Hebron umzingelt, war Herodes berichtet worden. Bogenschützen hatten ihnen auf der Straße der Palmen aufgelauert, und in den Seitenstraßen versteckten sich Soldaten. Doch als der Hinterhalt zuschnappte, waren Krawalle ausgebrochen. Religiöse Eiferer und Pilger griffen die herbeiströmenden Römer an und hielten sie auf, bevor sie ihr Ziel erreichen konnten.
Warum haben sie sie nicht einfach in der offenen Wüste gefangen genommen? Oder sie still und heimlich verhaftet, sobald sie sich innerhalb der Stadtmauern befanden? Warum müssen die Römer bei allem immer so ein Tamtam veranstalten?
Doch so unliebsam diese Entwicklung auch war – so wütend sie ihn auch gemacht hatte –, sie hatten ihn nicht zum Töten veranlasst. Nein. Es war Angst, nicht Wut, die das Mädchen das Leben gekostet hatte. Aus Angst hatten die Hände des Herodes ihren Hals gefunden und das Leben herausgedrückt. Herodes hatte sie umgebracht, weil er es zum ersten Mal, seitdem diese Schwierigkeiten angefangen hatten, mit der Angst zu tun bekommen hatte.
Jedem noch so rationalen Menschen hätten diese Tatsachen schließlich Angst eingejagt. Die Römer waren nahe genug gewesen, um den Geist von Antiochia zu berühren. Nahe genug, um den Bauch des Babys mit ihren Schwertspitzen zu berühren. Die ganze Macht des Kaiserreiches hatte sich auf eine einzige Straße herabgesenkt, und zwar zu einem einzigen Zweck: einen erbärmlichen kleinen Dieb und das hilflose Neugeborene, das er beschützte, umzubringen. Und was war geschehen? Das Unmögliche. Ein Mann – ein verletzter, erschöpfter Mann – war ihnen durch die Finger geschlüpft.
Als man Herodes die Einzelheiten von Hebron erzählte, wusste er es. Dies war nicht länger eine einfache Frage von alten Prophezeiungen und uraltem Aberglauben. Dies war der Gott Abrahams, der den König von Judäa verhöhnte. Die Stärke des Herodes verlachte. Roms Macht. Es bestand kein Zweifel mehr: Das Kind war tatsächlich der Messias. Und wenn man es am Leben ließe – wenn man ihm erlaubte, Ägypten zu erreichen und aus dem Blickfeld von Judäa und Rom zu verschwinden –, dann würde es die Königreiche der Welt umstürzen. Vielleicht sogar das Kaiserreich.
Der Kaiser wird natürlich kein Wort davon glauben. Ganz egal, welche Beweise ich vorbringe oder durch wie viele Wunder die Flüchtlinge aus den Händen seiner Truppen errettet wurden. Aber ich weiß es … und es ist Zeit, dass ich mich persönlich darum kümmere.
Herodes dachte über seine nächsten Schritte nach, während er neben einer jungen Frau lag, die nie etwas über das Elend des Alterns erfahren würde. Irgendwie würde er ihr ein Denkmal setzen. Wenn dies alles vorüber war, würde er etwas tun, um seinen Wutausbruch wiedergutzumachen. Vielleicht würde er eine Statue von ihr anfertigen und zu der Sammlung in seinem Hof hinzufügen lassen, damit er sich, wann immer er draußen spazieren ging, erneut an ihrer Schönheit ergötzen könnte.
In dem Haus herrschte noch die Ruhe des Schlafes, doch das kühle Licht des frühen Morgens stahl sich ungeladen durch die Fenster. Balthasar saß allein an dem gewaltigen Tisch im Erdgeschoss, ein Messer in der Hand. Die Wunde an seiner Brust war endlich so weit verheilt, dass die Fäden gezogen werden konnten, und er war dabei, sorgfältig einen nach dem anderen durchzuschneiden. Er zog sich die losen Fäden aus der Haut, bis vor ihm ein Schatten quer über den Tisch fiel, sodass er den Blick hob.
Sela stand in der Tür ihres Schlafzimmers, mit zerzausten Haaren und noch im Halbschlaf. Doch trotzdem so schön, dass es einfach nicht fair ist. Sie sah rasch weg und trat ein, als hätte sie damit gerechnet, dass er hier so früh säße, mit nackter Brust und einem Messer in der Hand. Balthasar widmete sich rasch wieder dem Ziehen seiner Fäden und tat so, als wäre sie gar nicht da.
So ging es nun schon seit drei Tagen. Seit ihrem schmerzhaften Wiedersehen hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Balthasar hatte Wert darauf gelegt, sie zu meiden, indem er hauptsächlich auf seinem Zimmer blieb und sich um seine geschwollenen Augen und aufgeplatzten Lippen kümmerte. Er kam nur nach unten, wenn er wusste, dass
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