Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal

Vom Netzwerk:

der Wirklichkeit verstricken. Sie hätten kein Wort geglaubt. Mehr als eine behutsame Übersetzung war nicht drin.
    Das »moderne Feldfunkgerät« nahmen sie mir gerade noch ab. Die »nahen Feindbewegungen«, über die mich »mein Kommandeur« soeben unterrichtet hatte, waren im Grunde auch nicht gelogen, denn Gerd hatte mir tatsächlich geraten, mich schleunigst aus dem Staub zu machen, weil gleich das SEK anklopfen würde. Sein »Befehl zum Rückzug« kam allerdings nicht so gut an.
    »Die Waffen-SS zieht sich nicht zurück«, krähte Otto. Es kam mir zwar so vor, als rollten die anderen dabei leicht mit den Augen, aber keiner widersprach ihm offen. Erst als Pfarrer Kuhn einsprang, meinen Vorschlag eine Finte nannte und den sturen Helden ausmalte, wie der Feind ein leeres Haus angreifen würde, spitzten sie wieder die Ohren.
    Der Pfarrer beschrieb ihnen eine Abkürzung übers freie Feld nach Wittstock. Ich legte mit dem fadenscheinigen Versprechen nach, über meine Einheit Verstärkung zu ordern. Doch schon als das Wort Wittstock gefallen war, hatten wir gewonnen.
    »Wittstock?« Konrad hatte sich gerade noch etwas zu essen geangelt und spuckte den halben Bissen wieder aus: »Wie weit soll das denn sein, Wittstock?«
    Ich kannte den Ort auch nur von Autobahnschildern, aber schätzte die Entfernung kurz entschlossen auf etwa drei Kilometer. Pfarrer Kuhn nickte heftig. Und Konrad war sich auf einmal ziemlich sicher, dort eine »Kommandantur« zu finden.
    Der steife Fritz meldete noch einmal Bedenken wegen der Gefangenen an, während Otto nach Kräften versuchte, nachdenklich auszusehen. Jedenfalls dauert es zu lange für meine Nerven.
    »Ich muss jetzt wirklich«, sagte ich, stammelte noch etwas von »Befehlen« und meinem »Kommandeur« und füllte damit offenbar eine Art Vakuum. Selbst der steife Fritz senkte plötzlich seine Waffe und das entspannte mich soweit, dass ich sogar noch an die anderen Gefangenen denken konnte: »Wenn ihr einen Rat wollt: Lasst die Leute hier, sie behindern euch nur.«
    Auf einmal war alles ganz einfach: Man musste nur bestimmte Wörter vermeiden, das Wort Rückzug zum Beispiel und - auch wenn du das jetzt ganz schlimm findest, Evelyn - zum Abschied ist mir noch etwas ganz und gar Ungeheuerliches passiert, gelungen, keine Ahnung, wie ich das nennen soll, meinetwegen auch unterlaufen: Wie von selbst schlugen die Hacken meiner Turnschuhe dumpf gegeneinander, und ohne dass ich lange darüber nachdachte, schnellte auch schon mein rechter Arm nach oben. Es war mir in diesem Moment nicht einmal peinlich, sondern einfach scheißegal. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit grüßten sie zurück und ließen mich unbehelligt ziehen.
    Was sich seitdem in dem Pfarrhaus abgespielt hatte, wusste ich nicht. Von unserem Van aus konnte man nur erkennen, dass deine Polizisten nach wie vor reglos in Deckung lagen. Und als Busch und Jenny endlich mit dem Band fertig waren, erlagen auch sie dieser geheimnisvollen Starre. Stumm saßen sie vor dem dunklen Bildschirm, sicher tief beeindruckt von meinem Mut, davon konnte ich ausgehen, aber das reichte mir nicht.
    »Und? Da fällt euch auch nichts mehr ein, oder?«
    Beide sahen auf, und zumindest bei Busch lag ich falsch:
    »Schlecht aus geleuchtet, keine Antextbilder, total verwackelt.« Und eins sollte ich mir auch »ein für alle Mal« merken: »Wenn man es nicht anders kann - bei Interviews immer Stativ!«
    Als wenn es darauf ankäme! In so einer Situation! Ich war echt enttäuscht. Wenigstens Jenny gab auch noch einen inhaltlichen Kommentar ab: »Krass«, sagte sie, »echt krass«.
    Dann begann Busch unwirsch seinen Schnurrbart zu zwirbeln und schüttelte den Kopf. Das war nach meiner Erfahrung mehr Lob, als ich je hätte erwarten können, eine Geste der Unsicherheit: Er wollte es einfach nicht wahrhaben.
    »Glaubt ihr das etwa? Das sind doch Schauspieler ...«
    »Vergiss es, Gerd! Wenn das Schauspieler sind, putze ich ein Jahr lang dein Auto, jede Woche. Und selbst wenn: Dann sind sie so gut, dass es auch wieder eine Geschichte ist.«
    »Vor allem, wenn sie gleich tot sind«, sagte Jenny.
    Sie deutete Richtung Kirche, wo gerade fünf graue Kleinbusse stoppten. Türen wurden aufgerissen, vermummte Gestalten sprangen raus. Und noch bevor Gerd mit der Kamera losrannte, hatten sie bereits den Friedhof umzingelt. Das SEK.
    Einer der Spezialpolizisten ließ sich von Schiller einweisen, der sich dabei in großen Gesten übte wie ein Feldherr. Ich fuhr Gerd im