Die Nachhut
technische Raffinesse, als könnte man nirgends einen moderneren Bunker besichtigen.
»Warum laufen die Generatoren nicht«, fragte ich und führte Busch nebenbei mit einer Hand rückwärts, damit er beim Drehen nicht stolperte. »Wo kommt der Strom ohne sie her?«
Josef dagegen bewegte sich mit der Sicherheit eines Maulwurfs durch das Halbdunkel und war dankbar für jede Frage.
»Die Schiffsdiesel werden nur einmal pro Woche zum Test angeworfen. Es gibt drei externe Leitungen zu umliegenden Ortsnetzen, alle unterirdisch in verschiedene Richtungen. Bisher hat der Feind nur eine gekappt, zwei haben noch Spannung.«
Alles funktionierte mit Strom, der offenbar oben seit Jahrzehnten von niemandem vermisst wurde: Die Heizung, etliche Pumpen, unzählige Lampen und eine Klimaanlage, die Josef Bewetterung nannte und ganzjährig eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent bei etwa 20 Grad Celsius garantierte. Megawattstunden mussten hier über die Jahre versickert sein.
»Und das Abwasser?«
»Über eine Grundwasserader - WC sozusagen.«
Voller Ekel wischte ich mir mit dem Ärmel die Mundwinkel trocken. Er lachte über diese unwillkürlich Geste: »Keine Sorge: Die Brunnen speisen sich aus tieferen Adern, und das Wasser durchläuft mehrere Filter aus Kies und Kohle.«
Auf jede Frage hatte Josef eine plausible Antwort. Alles machte Sinn. Aber den Höhepunkt hatte er sich noch aufgehoben.
Mit offenen Mündern standen wir vor einer Wand aus Konserven, nachdem er uns die Tür zu den Lebensmittelvorräten aufgeschlossen hatte. In Regalen bis unter die Decke, in Kisten oder zu Pyramiden gestapelt erschlug es uns förmlich. Nach ein paar Schritten tiefer hinein war klar: Allein dieser Stollen nahm etwa zweimal so viel Fläche ein wie der Platz für die Unterkünfte im Kern der Anlage. Zwar hatte Josef verraten, dass sie ursprünglich mit 20 Mann Besatzung und bis zu zehn Gästen zu rechnen hatten, aber musste man deshalb für 1000 Jahre Marmelade bunkern?
In verzinkten Metallbehältern lagerte Trockengemüse, Zwieback und Zucker. Sardinendosen türmten sich neben Wurstbüchsen. Vergilbte Etiketten wiesen die Sorten aus: Jagd-, Leber- und Rotwurst, Mortadella und Schmalz. Im nächsten Gang lagerte Kaffee-Ersatz, auch Käse in Konserven und Ovomaltine. Für die Mehlsäcke hatten sie nach einem Mäuseangriff irgendwann in den 70er Jahren nachträglich eine Wanne aus Stahl geschweißt.
Hinter dutzenden Kisten voller Sekt und Kognak ging es mit Streichhölzern, Kerzen und dehydrierten Lebensmitteln weiter. Es waren solche Mengen, dass niemand je die Notrationen im letzten Gang brauchen würde. Trotzdem waren dort alle Päckchen geöffnet. »Volle eiserne Portion« stand darauf und der Inhalt war ebenfalls aufgelistet: 250 g Hartzwieback, 200 g Fleischkonserve, 150 g Suppenkonserve (Konzentrat oder Erbswurst), 20 g Kaffee (gemahlen und verpackt) und je sieben Zigaretten.
»Deshalb?«
Josef nickte: »Zigaretten sind alle, einige Jahre schon.« Es klang wie eine Entschuldigung.
Dann klemmte er sich zwei Flaschen Sekt unter den Arm und führte uns zurück zu den anderen. Der kürzeste Weg streifte die einzige Tür, hinter die wir noch nicht gesehen hatten.
»Und hier?«
Josef Stahl überhörte meine Frage geflissentlich.
»Entschuldigung, ich glaube hier waren wir noch nicht.«
Endlich blieb er stehen, aber zögerte immer noch, bevor er mit dem Kopf schüttelte: »Das geht nicht. Tut mir leid.«
In einem Raum voller Nachrichtentechnik, den sie nur »das Amt« nannten, saß Jenny neben Otto und schrieb in ihrem Notizbuch mit, was der Reichsführer diktierte:
»Trägerfrequenzgeräte, Geheimfernschreiber, dort die Wechselstromtelegrafie ...«
»Das ist der Nachrichten-Dechiffrierer, Otto«, korrigierte Josef, »der Telegraf ist seit 40 Jahren kaputt!« Und zu uns gewandt: »Aber ein guter Ersatzteilspender.«
Zwei aufgebockte Fahrräder standen daneben wie selbstgebaute Fitnessgeräte, sollten aber bei Stromausfall die Geräte mit Muskelkraft am Laufen halten.
»Wann habt ihr zuletzt Funkkontakt gehabt«, wollte ich wissen. Es war die erste Frage, auf die Josef keine Antwort wusste. Es schien ihn nicht mal zu interessieren.
»Das müsst ihr Jagemann fragen, der schreibt so was auf.«
Zwei Stahltüren weiter, bei denen man gleichzeitig den Kopf einziehen und auf eine Stufe achten musste, standen Fritz von Jagemann und Konrad Hoppe in einer Art Kombüse. Fritz rammte gerade sein Bajonett in eine Dose. Ich nahm die
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