Die Nacht am See
Überleben einen Sinn geben.” Er schwieg einen Moment. „Leider waren Airbags damals noch nicht Standard. Sonst hätten sie wohl überlebt.”
Jocelyn stand auf und setzte sich zu Donovan auf die Bettkante. Sie beugte sich vor und strich ihm das Haar aus der Stirn, bevor sie seine Wange umschloss. „Es tut mir Leid, dass dir das passiert ist.”
„Mir auch. Nach dem, was ich gehört habe, waren meine Eltern wunderbare Menschen.”
Sie rieb wieder über seine Stirn. „Ist das der Grund, warum du Gelder für ein Beratungszentrum für trauernde Kinder sammelst?”
„Ja. Ich weiß, welchen Schaden das bei einem Kind anrichten kann. Die Ängste und die Trauer, das Verlassensein und die Schuldgefühle, weil man überlebt hat.” Er trank den Rest seiner heißen Milch aus und stellte den Becher weg. Als er den Arm ausstreckte, sah sie, dass er nicht nur auf der Schulter eine Narbe hatte - die sie schon bemerkt hatte, als sie am ersten Tag joggen gewesen waren - sondern noch weitere unter seinem Arm und auf den Rippen.
Sie berührte sie vorsichtig. „Dann hast du ja schon zwei Autounfälle hinter dir. Diese Narben sehen aus, als wäre es eine ziemlich schwere Verletzung gewesen.”
Er hob den Arm und schaute sie an. „Ja, sie sind aber gut verheilt, findest du nicht?”
„Scheint so.” Sie fuhr mit ihren Berührungen fort und spürte die Wärme seiner Haut. Wie sehr wünschte sie, sie könnte ihm den Schmerz nehmen, den er sowohl als Kind als auch vor einem Jahr hatte durchmachen müssen. „Du sagtest, bei dem letzten Unfall hat die Frau eine rote Ampel übersehen und dich gerammt?”
„Ja.”
„Hat sie überlebt?”
„Nein. Sie war nicht angeschnallt.”
Jocelyn dachte nach. „War sie betrunken?”
„Nein. Anscheinend hatte sie sich gerade mit ihrem Mann gestritten und war ziemlich aufgeregt.”
Jocelyn berührte noch immer seine Narben. Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Wann genau ist der Unfall geschehen?”
Donovan nannte ihr das Datum.
„Der Einbruch bei dir fand auf den Tag genau ein Jahr später statt. Kann es sein, dass …”
Donovan setzte sich auf. „Dass der Ehemann es auf mich abgesehen hat?”
„Es wäre eine Möglichkeit.” Jocelyn stand auf, um ihr Handy zu holen. „Ich werde dem Polizisten, der vorhin hier war, eine Nachricht hinterlassen, damit er die Sache überprüft.”
Sie telefonierte von der Küche aus und kam dann zurück in Donovans Schlafzimmer. Sie wollte ihm gerade sagen, dass er nicht weiter darüber nachdenken und stattdessen lieber schlafen solle, doch das brauchte sie gar nicht mehr.
Leise näherte sie sich dem Bett. Donovans Augen waren geschlossen, er atmete ruhig und gleichmäßig.
„Siehst du? Heiße Milch hilft doch.” Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Stirn.
Anschließend zog sie die Decke über seine Beine und betrachtete ihn noch einen Augenblick ungestört, bewunderte sein perfektes Gesicht und den durchtrainierten Körper.
Er sah gut aus, keine Frage, aber in ihm steckte noch so viel mehr. Es war schrecklich, was er als Kind erlebt hatte, und sie verstand, wie er zu der Entscheidung gelangt war, ein Beratungszentrum für trauernde Kinder einzurichten.
Jocelyn musste schlucken, weil sie einen Kloß im Hals verspürte. Er hat ein großes Herz, stellte sie fest, als sie auf seinen Oberkörper starrte und sich bemühte, nicht dem Drang nachzugeben, ihre Hand darauf zu legen, um sein Herz schlagen zu fühlen. Es war ein leicht verletzliches Herz, das niemals mehr den Mut aufgebracht hatte zu lieben.
Plötzlich begriff sie, was er vorhin gemeint hatte, als er erklärt hatte, sich selbst beweisen zu wollen, dass er kein Playboy sei. Offensichtlich wusste er um den Schaden, der seinem Herzen zugefügt worden war, und machte den für sein Alleinleben verantwortlich.
Schläfrig geworden, zog Jocelyn die Decke noch weiter hoch und drehte sich um. Etwas nagte an ihr - ein intensives, schmerzliches Verlangen, das sie wie eine Welle überrollte. Ein Verlangen, Donovan zu beschützen, egal, was es kostete und wie lange es dauerte.
Noch nie zuvor war ihr so etwas passiert.
8. KAPITEL
Am nächsten Abend kehrten sie nach einem anstrengenden Tag im Krankenhaus in Donovans Penthouse zurück. Anstrengend für Donovan wegen der beiden stundenlangen Operationen und anstrengend für Jocelyn, weil sie die ganze Zeit auf der Hut gewesen war und jeden, der sich auch nur in Donovans Nähe gewagt hatte, erst einmal überprüft hatte.
Kurz
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