Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Sydney.
»Genau deshalb habe ich Angst.«
»Ich bin nicht sicher, ob sie in der Zeit, seit ich hier bin, überhaupt
einmal abends allein weg war«, bemerkt Sydney.
»Mit dem Thema mussten wir uns bisher kaum befassen. Ich weiß nicht,
ob meine Eltern überhaupt schon mal die Diskussion übers pünktliche Nachhausekommen
geführt haben. Oder über den Gebrauch des Handys.«
Und wie, denkt Sydney, steht es mit der Safer-Sex-Diskussion?, sagt es
aber nicht laut.
»Ihr ist bestimmt nichts passiert«, sagt sie stattdessen.
Sie fahren zu einem Ort in der Nähe eines Leuchtturms, den Jeff kennt.
Sie sprechen nicht viel, wie das so ist, wenn jeder mit seinen eigenen Gedanken
beschäftigt ist. Sie fahren eine holprige Straße hinunter, die zu einem großen Buschgebiet
führt. Auf einem Parkplatz in der Mitte des langen halbmondförmigen Strands, an
dem das Haus der Edwards steht, halten sie an. Sie gehen ungefähr hundert Meter
in entgegengesetzten Richtungen den Strand ab. Beim Auto treffen sie sich wieder.
»Das ist idiotisch«, sagt Jeff. Er prüft wieder sein Handy, um sich zu
vergewissern, dass er keinen Anruf erhalten hat.
»Julie und ich waren heute Nachmittag an einer Stelle, wo sie vielleicht
wieder hingegangen ist«, meint Sydney nachdenklich.
»Wo?«
»Auf den Felsen am Ende des Strands.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagt er und steckt das Handy ein.
Sydney sagt nichts.
»Lieber Gott, Sydney.« Es ist dunkel auf dem Parkplatz, sie kann sein
Gesicht nicht erkennen.
»Aber bei Dunkelheit würde man da nicht hingehen«, fügt Sydney rasch
hinzu.
Aber sie wissen beide, dass es Julie vielleicht gefallen würde, einem
Jungen ein Ziel vorzuschlagen, das sie allein ausgesucht hat. Und sie wissen beide,
dass kaum einer eine solche Einladung von ihr ausschlagen würde.
»Seien Sie vorsichtig«, rät Jeff. Er hält die Taschenlampe so, dass Sydney
erkennt, wo er seine Füße hinsetzt, und ihm Schritt für Schritt folgen kann. Sie
sieht die Brandung nicht, aber sie hört sie.
Julie! , ruft Jeff immer wieder, aber jedes
Mal weht der Wind den Namen zu ihm zurück. Die Felsen sind glitschig. Sydney widersteht
der Versuchung, sich in die Hocke hinunterzulassen.
Sydney muss daran denken, wie Julie am Nachmittag ihre Hand festgehalten
hat. »Ich glaube nicht, dass sie hier ist«, sagt sie zu Jeff.
Sie rutscht auf schmierigem Seetang aus. Jeff hält ihr seine Hand hin,
und sie ergreift sie.
»Vorsichtig«, sagt er wieder.
»Danke.«
»Das ist doch verrückt. Wir sollten umkehren.«
Aber er hält noch ein paar Sekunden, vielleicht sogar sieben oder acht,
Sydneys Hand fest. Keiner wendet sich dem anderen zu. Keiner macht auch nur eine
Bewegung.
Sein Finger umschließen kaum die ihren.
Die Berührung ist kein Versprechen, und sie ist gewiss kein Annäherungsversuch.
Sie ist allenfalls der leiseste Hauch einer Möglichkeit.
Jeffs Finger sind deutlich fühlbar. Sie sind nachdrücklich da .
Eine Computermelodie ist aus Jeffs Tasche zu hören. Er lässt Sydneys
Hand los und greift nach seinem Handy. Die Stimme am anderen Ende ist so laut, dass
auch sie sie hören kann.
»Ihr solltet schleunigst zurückkommen«, sagt Ben.
JULIE SITZT AUF EINEM der zwei
weißen Sofas, eine Hand auf der Armlehne, den Körper der Tür Richtung Toilette zugewandt,
die sie, nach dem vermutlich von Erbrochenem herrührenden feuchten Fleck auf ihrem
Top zu urteilen, bereits aufgesucht hat. Aber nicht dieses Detail veranlasst Sydney,
einen Moment lang halb bekümmert, halb entsetzt die Augen zu schließen. Sie fragt
sich, ob noch jemand den kleinen Riss an der Stelle bemerkt hat, wo der blassblaue
Träger mit dem Ausschnitt zusammentrifft. Drei, vier, fünf kleine Stiche sind aufgerissen.
Ben geht mit den Händen in den Taschen hin und her. »Jemand hat sie abgesetzt,
und sie ist in diesem Zustand hier angekommen.«
»Wer hat sie abgesetzt?«, will Jeff wissen.
»Das sagt sie nicht. Sie kann es nicht sagen.«
Sydney setzt sich neben Julie, aber durch die Bewegung wird Julies fragiles
körperliches Gleichgewicht gestört. Das Mädchen drückt eine Hand auf den Mund und
konzentriert sich.
»Julie«, sagt Sydney leise und neigt sich dem jungen Mädchen zu.
Julie schüttelt einmal kurz den Kopf, und Sydney zieht sich zurück.
»Sie verträgt keinen Alkohol«, sagt Ben. »Sie darf nicht trinken.«
»Ist so etwas schon mal vorgekommen?«, fragt Jeff.
»Ich weiß nicht, aber sieh sie dir doch an.«
»Sind wir denn sicher,
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