Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Zimmer mit weißer Bettwäsche und Quilts zu modernisieren,
aber hier und da sind noch Zeugnisse früherer Zeiten vorhanden. Eine Spiegelkommode
aus Ahornholz. Ein Pergamentlampenschirm. Eine gehäkelte Wolldecke in Grün und Rot
über einem Sprossenstuhl.
Julies Zimmer kennt Sydney beinahe so gut wie ihr eigenes, aber sie war
noch nie im Schlafzimmer der Edwards am Ende des Flurs. Respekt vor Mr. Edwards
lässt sie vor der nur angelehnten Tür zögern. Mit dem Handrücken stößt sie sie ein
klein wenig weiter auf. Nun kann sie nicht mehr zurück und tritt ein.
Sie ist erstaunt über das Ehebett. Es ist nicht einmal so breit wie ein
normales Doppelbett. Die beiden Edwards sind doch stattliche Menschen, es muss ihnen
unmöglich sein, einander auf so einer schmalen Matratze nicht zu berühren.
Das Eckzimmer hat mehrere Fenster. Unter einem steht ein Schreibtisch
mit Dingen, die Sydney einem Mann zuordnen würde: ein kleines Bündel Rechnungen;
ein Keramikbecher mit Stiften; ein Maßband aus Metall; ein sperriges Radio, das
leicht älter sein kann als Sydney. Sie tritt an den Schreibtisch heran und betrachtet
eine Fotografie, auf der eine schlanke junge Frau mit langem blonden Haar in einem
einteiligen Badeanzug zu sehen ist. Ein hoch aufgeschossener Mann mit lockiger Mähne
hält sie von hinten mit den Armen umschlossen, den Mund an ihre Schulter gedrückt.
Es sieht aus, als lächelte er. Die Frau ist sehr schön und tief gebräunt, ihr Blick
ist auf den Mann gerichtet, der ihre Schulter küsst. Wenn Sydney sich je gefragt
hat, warum Mr. Edwards Mrs. Edwards geheiratet hat, so gibt ihr der Blick zwischen
dem Mann und der Frau auf dem Foto die Antwort.
An einer Wand steht eine Frisierkommode, die nur Mrs. Edwards gehören
kann, und auf ihr ein Plexiglaskasten mit verschiedenen Fächern, in dem sie ihre
Schminksachen aufbewahrt: Feuchtigkeitscreme, Dosen mit teurem Make-up, lange Tuben
mit irisierendem Lippenstift. Sydney kennt die Marken. Bananenspangen und leuchtend
blaue Lockenwickel liegen unordentlich hingeworfen auf der Mahagoniplatte. Eine
leere Poland-Spring-Flasche ist umgefallen.
Sydney registriert andere Gegenstände im Raum – ein Laufband, über das
Mr. Edwards ein Hemd gehängt hat, ein Kunststoffbehälter für die schmutzige Wäsche,
ein Bild von den drei Kindern mit dem Ozean als Hintergrund –, aber ihr Blick wandert
immer wieder zu dem Ehebett. Es ist nicht einmal ein normal breites Doppelbett,
dabei hätte in dem Schlafzimmer mit Leichtigkeit ein Zwei-mal-zwei-Meter-Bett Platz.
Dass die Edwards freiwillig in einem so schmalen Bett schlafen, bringt Sydney aus
dem Konzept, wirft ihre Vorurteile über den Haufen.
Jeff trifft am frühen Freitagnachmittag des Wochenendes ein, an dem
der Urlaub der Brüder beginnen soll, völlig unerwartet für seine Mutter, die überrascht
aufschreit. Sydney, die im Wohnzimmer gelesen hat, steht auf, um zu sehen, was los
ist. Jeff schüttelt sich am Ende des dunklen Flurs den Regen aus den Kleidern. Er
stellt einen Matchsack ab und hängt seine Windjacke an einen Haken neben der Tür.
Sein Haar ist wirr von der Seeluft und vom Wind, als wäre er von der Bushaltestelle
zu Fuß gegangen. Ohne sich anmerken zu lassen, ob er Sydney gesehen hat oder nicht,
tritt er in die Küche.
Sydney stellt sich ein wenig anders, damit sie durch eine offene Tür
das Trio in der Küche beobachten kann. Mrs. Edwards drückt die Hand auf den Mund
und wendet sich ab, dem Spülbecken zu. Mr. Edwards nickt bedächtig, die Hände in
den Hosentaschen. Sydney überlegt, was das für Neuigkeiten sein können. Ist ein
Freund gestorben? Ist Jeff entlassen worden? Hat man ihm Plagiat nachgewiesen?
Nach einiger Zeit kommt Jeff aus der Küche. Er schwingt sich seinen Matchsack
über die Schulter, und als er sich herumdreht, bemerkt er Sydney, die im Flur steht.
Ohne ein Grußwort geht er in ihre Richtung. Sein Hemdkragen ist durchnässt, und
er ist unrasiert. Dass er bisher keinen Ton gesagt hat, irritiert sie.
»Hallo«, sagt sie schließlich.
»Hallo.«
Sydney überlegt krampfhaft, was sie sagen soll, und rettet sich in eine
Frage.
»Wo ist Vicki?«
Jeff hält einen Moment inne. Sie spürt seinen Blick, schafft es aber
nicht, ihn direkt anzusehen.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortet Jeff endlich.
Sydney setzt sich in den Teakliegestuhl auf der Veranda. Jenseits des
Vordachs fällt der Regen in Strömen. Der Ozean ist grau und aufgepeitscht. Am Strand,
nicht weit vom Haus, ist ein Mann
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