Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Labyrinth tapezierter Gänge zu ihrem Zimmer. Er
sperrte auf und trat zur Seite, um Sydney den Vortritt zu lassen. Ein Zimmermädchen
hatte bereits die Vorhänge zugezogen.
»Hast du Hunger?«, fragte Jeff. »Möchtest du etwas essen? Ich hätte dich
schon vorher fragen sollen.«
»Ich möchte mich nur hinlegen«, sagte Sydney. Sie streifte ihre Sandalen
ab und legte sich auf das schmale Bett. Auch Jeff zog seine Schuhe aus.
Sydney spürte die Erleichterung, als sie sich ausstreckte. Sie sah zu,
wie Jeff die ersten drei Knöpfe seines Hemds öffnete. Im Augenblick war er in Gedanken
versunken. Sie wusste, dass Julie ihn immer noch beschäftigte, dass er in Gedanken
alle möglichen Szenarien durchspielte, alte Formeln ausprobierte, Hypothesen aufstellte,
Daten prüfte. Als er sich ihr schließlich zuwandte, machte sie ihm auf dem Bett
Platz. Kaum dreißig Zentimeter.
Er lachte.
Er betrachtete sie von oben bis unten und verweilte bei ihren bloßen
Beinen. Sein Gesicht veränderte sich, die scharfe Aufmerksamkeit des Blicks ließ
nach, der Mund entspannte sich. Es würde vielleicht keine Worte mehr geben.
Er kniete auf dem Teppich nieder und küsste ihre Knie. Er schob langsam
ihren Rock hoch.
Sydney, die auf dem Bidet im Hotelbadezimmer saß, konnte sich, selbst
als sie es versuchte, nicht an Einzelheiten beim Sex mit früheren Liebhabern und
Ehemännern erinnern. An Zärtlichkeit entsann sie sich, aber nicht an irgendwelche
Stellungen oder einzelne Episoden. Sie hielt das für eine weibliche Eigenart. Sie
zweifelte keinen Moment, dass Jeff, sollte er gefragt werden, sich an Dutzende spezifischer
Begegnungen würde erinnern können.
Als sie ins Zimmer zurückkam, war Jeff angekleidet. »Komm, gehen wir
aus«, sagte er. »Ich bin am Verhungern.«
Sie gingen durch Seitenstraßen zu einem Bistro, das einladend aussah.
Sydney sah auf ihre Uhr. Es war fast zehn, und die Leute – selbst Familien mit Kindern – setzten sich gerade erst zum Abendessen.
Sie bestellte moules frites . Als die Muscheln
und die Pommes frites gebracht wurden, aß sie gut zehn Minuten lang, ohne ein Wort
zu sprechen. Dann schaute sie auf und sagte zu Jeff: »Ich glaube, das war das beste
Essen, das ich je gegessen habe.«
Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, musterte sie einige Minuten später
Jeff mit aufmerksamem Blick.
»Du siehst aus wie dein Vater«, sagte sie.
»Tatsächlich?« Jeff trank einen Schluck vom roten Hauswein.
»Deine Augen. Deine Figur.«
Mit bedächtigem Nicken nahm Jeff das zur Kenntnis.
»Ich glaube, du bist auch wie er. Ein anständiger Mann.«
Jeff, der gerade nach ein paar Pommes frites griff, schien überrascht
von dem Kompliment.
»Meinst du?«, fragte er.
»Deine Mutter muss sich ständig behaupten«, sagte Sydney. »Dein Vater
hat das nicht nötig.«
Jeff zog eine Packung Gauloises aus der Tasche und zündete sich eine
Zigarette an.
Sydney war überrascht. »Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.«
»Ich habe sie im Hotel gekauft, während du weg warst. Ich dachte, es
sei angebracht. Man soll sich doch den örtlichen Gepflogenheiten anpassen.«
Sydney sah sich um. Er war nicht der Einzige, der rauchte.
»Stört es dich?«, fragte er.
»Nicht, wenn es nur ab und zu mal eine ist.«
Jeff zog lang an seiner Zigarette, ein wenig zu lang, fand Sydney, für
jemanden, der nur gelegentlich rauchte. »Ich glaube, so knapp hat noch nie jemand
die Familiendynamik zusammengefasst«, stellte er fest.
»Entschuldige«, sagte Sydney. »Ich hätte mir nicht –«
»Maß es dir ruhig an.«
»Ich meine, ich wollte nicht…«
»Ach was«, sagte Jeff. »Du mischst dich ja nicht ein. Du beobachtest
nur. Wenn man Julie und meinen Vater reden hört, gehörst du praktisch zur Familie.«
»Ich glaube, deine Mutter sieht das ein bisschen anders«, meinte Sydney
leichthin.
Victoria, der Jeff vor so kurzer Zeit erst den Laufpass gegeben hatte,
drängte sich in Sydneys Gedanken, ein Gespenst in einem gelben Sommerkleid.
»Denkst du manchmal an Victoria?«, fragte sie. »Bist du froh über deine
Entscheidung?«
»Was für eine Frage«, versetzte Jeff und hob seine Espressotasse zum
Mund.
Sydney starrte ihn an.
»Ich wusste es in dem Moment, als du aus dem Wasser kamst«, fügte er
hinzu.
Victoria, so schien es, war nur Sydneys Gespenst.
An den anderen Abenden aßen sie mit Hélène und Julie, die im siebten
Himmel waren. Sydney hatte eine vage Vorstellung davon, was sich in dem Bett in
der Wohnung mit den
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