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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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und Frank mehr Beistand haben, Trauzeugen im
Überfluss.
    Sydney rechnet sich aus, dass sie heute zum Abendessen elf Personen sein
werden. Genau genommen ein Probedinner, wenn auch die eigentliche Probe nicht mehr
als zehn Minuten beanspruchen wird. Die Hochzeit wird nicht wie üblich von den Brauteltern
bezahlt, die sich wahrscheinlich sowieso nicht auf einen Ort für die Feier hätten
einigen können. Nein, die Kosten für die Hochzeit und das Probedinner tragen Mr.
und Mrs. Edwards, und Mrs. Edwards hat auch die Organisation übernommen, nachdem
sie mit einer Reihe kluger Vorschläge und einem Rolodex voll Adressen von Aushilfspersonal
keinen Zweifel daran gelassen hat, dass sie mit all den lästigen kleinen Details
fertig werden kann.
    Obwohl die Edwards darauf bestanden haben, dass Sydney sie nun Mark und
Anna nennt, denkt sie von ihnen immer noch als Mr. und Mrs. Edwards.
    »Kippa oder so was kommt nicht in Frage«, hat Mrs. Edwards ihrem Sohn
Jeff von Anfang an erklärt und damit die jüdische Frage ein für alle Mal erledigt.
Nicht akzeptabel.
    »Sei nicht albern«, hat Jeff gesagt.
    Sydney kann in der Ferne eine außergewöhnlich hohe Welle ausmachen. Sie
weiß, sie sollte weiter zurückgehen, sich hinten in den Kniekehlen von der Welle
packen und in den Sand schleudern lassen. Sie könnte es aber auch darauf ankommen
lassen und sich ihr mit Kopf voraus entgegenwerfen, mit einem flach angesetzten
Sprung, um ihrer Walzkraft zu entgehen. Sie blickt nach links und nach rechts. Heute
ist niemand sonst im Wasser, das in der Tat schmutzig und gar nicht verlockend aussieht.
    Die Welle rollt näher, Sydney kann ihren Zorn hören. Sie kehrt ihr den
Rücken und wartet. Das ist immer der Trick dabei, dass man den Kamm erwischt.
    Wilder Übermut, vielleicht auch so etwas wie eigener Zorn, lässt sie
die Arme in die Höhe reißen und die Hände zusammenlegen. Ein starker Sog bringt
sie beinahe ins Wanken. Ein Strand, ein Haus und eine Kaimauer befinden sich vor
ihr, aber sie sieht nichts. Es ist, als lauschte sie mit den Augen.
    Sie darf nicht zögern. Ihr Timing muss perfekt sein.
    Die Welle ist da, und Sydney springt. Zu spät erkennt sie, dass sie sich
verrechnet hat. Die Welle schlägt ihr direkt in den Rücken, und das Wasser presst
ihr Gesicht in den Sand. Sydney versucht, auf die Beine zu kommen, und kann nicht.
Es ist kein Meeresgrund da.
    In der Lunge kaum noch Luft zum Anhalten, lässt Sydney sich von der Welle
erfassen. Das Wasser in seiner Gleichgültigkeit schleudert sie seitwärts auf den
Strand und rollt sie im Zurückweichen den steilen Hang hinunter. Sie ist nur ein
Spielzeug.
    Erschöpft, wie sie ist, kann Sydney der nachfolgenden Welle nicht davonlaufen
und wird wieder unter Wasser gedrückt. Sie gräbt die Finger in den Sand. Sie schnappt
nach Luft und wird von hinten getroffen. Von der vierten Welle lässt sie sich auf
dem Bauch vorwärtsstoßen. Sie kriecht auf den Sand hinaus, dem Schlimmsten entkommen.
Als sie sich das brennende Salz aus den Augen reibt, steht vor ihr mit einem Badetuch
ein Mann, den sie kennt.
    Jeff hüllt sie in Bubblegumrosa ein und wiegt sie dabei sachte hin und
her. Er drückt sein Kinn an ihren Hals.
    »Du bist eine Göttin«, sagt er.
    »Mein Timing stimmt heute nicht. Es klappt nicht.«
    »Das sind die Nerven«, meint er.
    »Glaubst du?«
    Er schiebt seine Hand unter ihr Bikinihöschen. Den alten einteiligen
Badeanzug gibt es nicht mehr. Jeff hat darauf bestanden.

 
    VERZWEIFELT ÜBER DAS VERSCHWINDEN seiner Tochter hängte Mr. Edwards damals, vor einem Dreivierteljahr, selbst geschriebene
Anschläge im Hummerrestaurant und im Krämerladen auf. Keine Stunde später rief eine
junge Frau mit frankokanadischem Akzent an. »Ich habe das Mädchen auf dem Anschlag
gesehen«, sagte sie. »Sie war auf einer Party. Mit Hélène.«
    »Hélène wer?«, fragte Mr. Edwards, kaum fähig zu atmen.
    »Sie ist Surferin. Ich glaube, sie lebt in Montreal.«
    Mr. Edwards belagerte die Polizeidienststelle in Portsmouth, bis es
ihm gelang, die Beamten dazu zu bewegen, ihren Sachverstand und ihre technischen
Möglichkeiten der mutmaßlichen Entführung zu widmen – auch ohne einen Erpresserbrief.
Hélène Lapierre, die in der fraglichen Nacht die Grenze überquert hatte, war einem
Grenzbeamten wegen ihres außergewöhnlichen Lächelns und ihrer Bemerkung in Erinnerung
geblieben, dass sie zum Surfen an der Küste von New Hampshire gewesen sei. Sie wurde
ausfindig gemacht und nur kurz befragt.

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