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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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sich die neue Schale
bildet, anfangs weich und leicht zerbrechlich, am Ende jedoch so hart, dass nur
Hummerzangen sie knacken können.
    Sie kann es kaum erwarten.
    Eines Morgens, als sie auf dem Weg aus dem Hotel ist, bemerkt sie auf
dem gestreiften Sofa im Foyer ein Paar mittleren Alters. Mann und Frau sehen einander
ähnlich. Sie denkt darüber nach, wie es kommt, dass Menschen, die lange miteinander
gelebt haben, einander mit der Zeit immer ähnlicher werden. Sie fragt sich, ob sie
und Jeff sich irgendwie ähnlich gesehen haben, ob sich im Lauf der Zeit äußere Ähnlichkeiten
entwickelt hätten. Sie fragt sich, ob das Paar auf dem Sofa gerade sein Eheversprechen
erneuert hat.
    Sydney ist bewusst, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als Liebe
und Liebesverlust. Die Behinderungen eines Kindes. Ein Klima des Terrors. Selbstmordattentäter.
Das sagt sie sich immer wieder vor, während sie durch die Straßen geht.
    Sie versucht zu lesen – zuerst Zeitschriften, dann ein Buch. Weder das
eine noch das andere ist ein Erfolg. Das Fernsehen kann sie nicht aushalten, also
läuft sie in der Stadt herum. Da sie kaum etwas eingepackt hat, kauft sie sich ein
Paar feste Schuhe. Nach einer Woche kauft sie sich eine Flasche von dem Badeöl,
das sie am liebsten benutzt, und betrachtet es als einen kleinen Sieg.
    Sie zählt die Tage. Erst sind es zweiundzwanzig. Dann sind es fünfzehn.
Dann zehn. Als sie noch neun Tage hat, geht sie in ihren festen Schuhen los, bereit,
für ihr Frühstück einen langen Fußmarsch hinzulegen. Wenn sie je nach Beacon Hill
ziehen sollte, wird ihr, was die Esslokale angeht, keiner etwas vormachen können.
    Der junge Mann am Empfang wünscht einen guten Morgen. Der Portier nickt
und lächelt. Sydney will die Straße überqueren und läuft zwischen zwei geparkten
Autos hindurch.
    Ein Zwischenfall am Fuß des Hügels – ein Autounfall – zieht ihre Aufmerksamkeit
auf sich. Sie tritt auf die Fahrbahn hinaus und hört noch das Kreischen von Bremsen,
bevor sie den Aufprall spürt.
    Ein Moment der Verblüffung, dann ein Schmerzstrahl. Sydney wird die Straße
hinuntergeschleudert.
    Der Portier, ein Taxifahrer und ein Mann, der aussieht wie ein Europäer,
stehen über sie gebeugt. Sydney versucht, sich aufzusetzen. Der heftige Schmerz
in ihrem Handgelenk hindert sie daran. Sie bemerkt eine leichte Bewusstseinsverschiebung,
als wäre sie aus einem kurzen Schlaf erwacht.
    Der Europäer – Sydney bemerkt seinen vornehmen dunklen Anzug, die blütenweißen
Manschetten – hat schon sein Handy herausgezogen, während er ihr noch den Kopf hält.
Nun beugt sich auch noch ein Polizist völlig außer Atem über sie. Sydney sieht nichts
als Gesichter.
    »Es ist nur mein Arm«, sagt sie.
    »Sie kamen zwischen den Autos hervor«, erklärt der Europäer mit einem
möglicherweise britischen Akzent. »Ich habe Sie beobachtet, während ich auf mein
Auto wartete. Das Taxi konnte nicht mehr anhalten.«
    »Ich hätte aufpassen sollen«, sagt Sydney.
    »Ja«, stimmt der Taxifahrer zu.
    Sydney nennt ihren Namen und gibt das Hotel als ihren Wohnort an.
    Während sie in den Krankenwagen gehoben wird, bemerkt sie, dass das Taxi
halb schräg auf der Straße vor dem Hotel steht. Hinter ihm hat sich eine endlose
Autoschlange gebildet.
    Rick, der Hoteldirektor, begleitet Sydney ins Krankenhaus. Gewohnt, sich
durchzusetzen, sorgt er dafür, dass sie sofort von einem Arzt angesehen wird. Die
Fraktur wird ihr auf dem Röntgenbild gezeigt. Während der Arzt ihr Handgelenk schient,
hält Rick ihre andere Hand.
    Als Sydney später mit eingegipstem Unterarm ins Hotel zurückkehrt, kommen
ihr die Angehörigen des Personals entgegen, um sie zu begrüßen. Sie darf nicht allein
in den Aufzug steigen. Ein Rezeptionist und ein Portier begleiten sie in ihr Zimmer
hinauf. Sie kann nur hoffen, dass sie nichts Peinliches irgendwo auf einem Sessel
liegen gelassen hat.
    Die ersten Blumen sind schon da. Den Strauß vom Hotel erkennt sie sofort,
weil er ganz in Creme gehalten ist. Man würde doch keine Farben wählen, die sich
nicht mit dem Dekor vertragen.
    Die Karte, die vor einer zweiten, kleineren Vase mit rosaroten Löwenmäulchen
liegt, ist mit Cavalli unterschrieben.
    Italiener, denkt Sydney.
    Vor dem Sitzpolster ist ein Tisch gedeckt – Käse, Fladenbrot, Weintrauben,
Erdbeeren, Oliven, Nüsse. Eine Mahlzeit, die sich problemlos mit einer Hand einnehmen
lässt, wie Sydney auffällt.
    Und noch etwas fällt ihr auf – etwas ganz Seltsames und

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