Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Wunderbares.
Zum ersten Mal seit der Hochzeit, die nicht stattfand, fühlt sie sich richtig wach.
Am viertletzten Tag erhält Sydney einen handgeschriebenen Brief,
der ihr von einem Portier namens Donald umgehend aufs Zimmer gebracht wird. Mr. Cavalli
ist zum Kaffee im Restaurant und fragt an, ob sie nicht Lust habe, sich ihm anzuschließen.
Er hofft, dass es dem verletzten Handgelenk besser geht.
Sydney schaut prüfend in den Spiegel. Sie ist nicht besonders chic angezogen,
aber es wäre vielleicht schlimmer, so auszusehen, als hätte man sich darum bemüht.
Wegen des verletzten Handgelenks konnte sie in letzter Zeit aus ihrem Haar nichts
machen, und das hat ihr noch nie besonders gut gestanden. Sie seufzt. Es ist ja
gar nicht so, dass sie Mr. Cavalli nicht sehen will oder ihn etwa für aufdringlich
hält. Aber sie hat seit achtzehn Tagen mit keinem Menschen mehr ein Gespräch geführt,
das sich über mehr als ein paar Sätze erstreckt hat.
Er steht auf, sobald sie das Restaurant betritt. Eleganter Anzug, ein
weißes Hemd, so frisch, als wäre es erst am Morgen gekauft.
»Ich freue mich«, sagt er förmlich in perfektem Englisch, das nicht in
Amerika erlernt ist, sondern vielleicht in London, der Akzent eine Mischung aus
italienischen und britisch-englischen Anklängen. Er ist sehr groß – sie hat das
kurz nach dem Unfall nicht bemerkt –, und einen Moment bringt dieser Größenunterschied
zwischen ihnen sie aus der Fassung. Aber da bedeutet er ihr schon, sich zu setzen.
Mr. Cavalli hat offensichtlich bereits mit der Bedienung gesprochen,
denn auf dem Tisch stehen eine Kanne Kaffee und ein Teller mit Gebäck. Er ist, stellt
Sydney fest, ein Mann, der die Dinge selbst in die Hand nimmt und nicht darauf wartet,
bis jemand auf ihn zukommt. Sie wünscht jetzt, sie hätte sich doch etwas weniger
farblos gekleidet, wäre sich wenigstens einmal mit dem Kamm durch die Haare gefahren.
»Wenn ich irgendetwas tun kann«, sagt er, während ein Kellner ihnen Kaffee
eingießt. Sie denkt: Und wenn ich nun lieber Tee gehabt hätte? Oder hat er vielleicht
vor ihrer Ankunft beim Personal nachgefragt, was für ein Getränk Sydney Sklar normalerweise
morgens zu sich nimmt?
»Ich hätte mich schon früher bei Ihnen gemeldet«, bemerkt er, »aber ich
dachte, Sie ruhen vielleicht. Haben Sie starke Schmerzen?«
»Nicht besonders, nein.«
»Das ist gut.«
»Woher kommen Sie?«, fragt sie.
»Ich bin in London und Neapel aufgewachsen«, antwortet er.
Draußen vor dem dunkel getäfelten Restaurant fließt der Verkehr ungehindert
den Hügel hinunter. Keine zehn Meter entfernt hat ein Taxi sie am Handgelenk verletzt.
Hinter dem Tresen poliert eine Kellnerin mit einem weißen Tuch Weingläser. Vielleicht
lauscht sie, vielleicht träumt sie auch vor sich hin.
In ein, zwei Stunden wird sich der Raum mit Geschäftsleuten füllen, Männern
und Frauen, die bereit sind, eine Menge Geld für chilenischen Wolfsbarsch und Meeresfrüchtesalat
zu bezahlen. Sydney ist mit der Speisekarte vertraut, aber sie richtet ihre Restaurantbesuche
immer so ein, dass sie früh kommt oder erst ganz am Ende der Essenszeit. Die Salate
sind selbstverständlich hervorragend. Sydney hat in den letzten Tagen gelernt, auch
mit schwierig zu handhabenden Speisen einhändig fertig zu werden.
»Was machen Sie beruflich?«, fragt sie den Italiener.
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«, erwidert er, ohne die ihre zu beantworten.
Er hebt seine Kaffeetasse zum Mund. Er hat, das ist ihr vorher aufgefallen, sehr
viel Zucker zum Kaffee genommen – sie stellt ihn sich wie Schluff unaufgelöst auf
dem Grund seiner Tasse vor. »Wohnen Sie hier? In diesem Hotel?«
Sydney wollte eigentlich nicht über ihren Aufenthalt in dem diskreten
Hotel sprechen. Sie hat niemandem gesagt, warum sie hier ist, wenn auch das Personal
sicherlich Spekulationen anstellt. Zweiundzwanzig Tage, das ist ein sonderbarer
Zeitraum, zu lang zum Sightseeing oder für eine Geschäftsreise. Ohnehin dürfte klar
sein, dass Sydney nicht geschäftlich unterwegs ist.
»Ich wollte heiraten«, sagt sie. »Aber mein –«, sie zögert bei der Wahl
der Bezeichnung, die ja immer verräterisch ist, »mein Verlobter hat es sich am Hochzeitsmorgen
anders überlegt. Das hier ist gewissermaßen meine Antihochzeitsreise.«
»Oh, das tut mir leid«, sagt der Italiener, und sie erkennt an seinem
Blick, dass es wahr ist. »Dieser Mann hat Sie nicht verdient«, fügt er hinzu.
»Das können Sie nicht wissen«,
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