Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
verdüsterte sich. Er musste an die Worte denken, die ihm das Geschöpf entgegengeschleudert hatte, als er diesen Wunsch geäußert hatte: Das wird nie Teil unserer Vereinbarung sein … »Da ist noch ein anderer wichtiger Punkt, über den wir bisher nicht gesprochen haben. Wie komme ich rechtzeitig weg, wenn ich die Zündvorrichtung ausgelöst habe?«
»Ich weiß es nicht, Eph. Im Moment gibt es zu viele Variablen. Ich glaube, wir brauchen jede Menge Glück. Und Mut. Ich könnte es verstehen, wenn du es dir noch einmal überlegst.«
»Noch einmal überlegen? Du meinst, den ganzen Plan?«
Nora schüttelte seufzend den Kopf. »Ich weiß auch nicht …«
Eph sah sie an, studierte ihr Gesicht. Da war keine Spur von Verrat. Kein Hinweis auf ein doppeltes Spiel. Er atmete erleichtert auf. So vieles hatte sich zwischen ihnen verändert – aber tief in ihrem Inneren war Nora noch immer die Freiheitskämpferin, die sie von Beginn an gewesen war.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Was meinst du?«
»Es sah aus, als würdest du dich über etwas freuen.«
Er schüttelte den Kopf. »Mir ist nur klargeworden, dass es einzig und allein um Zack geht. Was immer nötig ist, um ihn zu befreien – ich werde es tun.«
»Ich bewundere dich dafür. Wirklich.«
»Aber meinst du nicht, dass der Meister unseren Plan durchschauen wird? Wird er wirklich glauben, dass ich in der Lage bin, euch zu verraten?«
»Ja. Es sieht ihm ähnlich, das zu glauben.«
Eph nickte, froh darüber, dass sie ihn in diesem Moment nicht ansah. Aber wenn nicht Nora, dachte er, wer war dann der Verräter? Sicher nicht Vasiliy. Vielleicht Gus? War dieser ganze gegen ihn gerichtete Zorn des Mexikaners nur Fassade? Oder womöglich Joaquin?
… can never go down / can never go down the drain.
Plötzlich hörten sie ein Rascheln aus einem der hinteren Verkaufsräume. Früher hätte es auch von einem Nagetier stammen können, aber jetzt …
Sie schalteten die Taschenlampen aus.
»Ich sehe mal nach«, flüsterte Eph. »Warte hier. Und sei vorsichtig.«
»Bin ich immer«, erwiderte sie und zog leise ihr Schwert aus der Scheide.
Eph setzte das Nachtsichtgerät auf und ging langsam in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Alles sah unverändert aus; auch den Schaufensterpuppen waren in der Zwischenzeit keine krallenartigen Mittelfinger gewachsen. Nur … dieser Kleiderbügel dort bewegte sich leicht hin und her. Als wäre gerade jemand daran vorbeigelaufen. An den Rolltreppen angekommen zog Eph sein Schwert. Irgendetwas riet ihm, nach unten zu gehen.
Und er hatte sich nicht getäuscht: Im Erdgeschoss schlug ihm der Ammoniakgestank eines strigoi entgegen. Wie seltsam: ein Vampir, allein unterwegs? Aber vielleicht war es ja die Aufgabe der Kreatur, regelmäßig das Kaufhaus zu kontrollieren.
Eph sah sich nach allen Seiten um. Nichts bewegte sich. Er wollte gerade zu einem der überdimensionalen Verkaufsdisplays gehen, als er aus der entgegengesetzten Richtung ein leises Klicken hörte.
Er fuhr herum. Wieder nichts zu sehen. Er bückte sich und lief an den Wühltischen entlang in Richtung des Geräuschs. Ein Schild wies den Weg zu den Toiletten und zu den Büroräumen der Kaufhausverwaltung. Er öffnete die Türen der Büros und sah mit dem Nachtsichtgerät hinein. Nichts. Dann, am Ende des Ganges, betrat er die Männertoilette. Er ging an den Urinalen vorbei und stieß mit der Schwertspitze gegen die Kabinentüren. Sie waren alle leer.
Aber von irgendwo kam wieder dieses Rascheln.
Von irgendwo hier im Raum.
Eph wandte sich um. Sah sich selbst im Spiegel. Sah auf das Waschbecken und den großen Mülleimer darunter …
… in dem es leise raschelte …
… und dann – in einer wahren Explosion aus Papier und Abfall – sprang ein kleiner strigoi aus dem Mülleimer, machte einen riesigen Satz und landete auf der gegenüberliegenden Seite des Raums an der Wand. Völlig perplex fuhr Eph mit dem Schwert einige Male durch die Luft, um eine Stachelattacke abzuwehren, bis ihm klar wurde, dass sich der Vampir nicht bewegte, sondern ihn – auf dem gefliesten Boden kauernd, die Knie an den Kopf gezogen – mit leeren, schwarz glänzenden Augen anstarrte.
Es war ein zwölf-, vielleicht auch vierzehnjähriger afroamerikanischer Junge. Und er war blind.
Ein Späher.
Die Oberlippe des Jungen war leicht gekräuselt, so dass es im Licht des Nachtsichtgeräts aussah, als würde er lächeln.
Eph senkte das Schwert, aber blieb auf der Hut. »Bist du wegen
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