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Die Nacht der Uebergaenge

Die Nacht der Uebergaenge

Titel: Die Nacht der Uebergaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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Vormittag
zurückgegeben. Genauso wie das Kleid.
Es war schön und es war wunderbar, offiziell in der Familie und der Gemeinde
der Immaculates zurück zu sein, doch es gab Awendela nicht das Gefühl der
Vollkommenheit. Materielle Dinge gaben ihr keine wirkliche Befriedigung. Ihr
fehlte etwas. Leider konnte sie nicht sagen, was.
    Die Türen zum purpurnen Saal öffneten sich für sie und Wendy
fühlte sich ein klein wenig an den Auftritt von gestern Abend erinnert. Alle
Blicke ruhten auf ihr und da ein paar der anwesenden Krieger ihren beschämenden
Ausfall gegenüber Ash mitbekommen hatten, fühlte es sich genauso unangenehm an.
Wenigstens ihre Kleider hatte sie diesmal selbst auswählen dürfen. Schwarze,
perfekt sitzende Lederhosen und ein enges, ebenfalls schwarzes T-Shirt mit
rundem Halsausschnitt, bei dem ein bisschen nackte Haut am Bauch blitzte. Sie
hatte nichts Süßes mit Puffärmelchen unter ihren Sachen. Sie war Tri’Ora.
Jederzeit kampfbereit. Niemand hatte ihr zu verstehen gegeben, sich für dieses
Treffen schick machen zu müssen. Es ging um den Inhalt, nicht um die Verpackung.
Aber zu ihrer eigenen Erleichterung gab es unter diesen Klamotten immer noch
Platz für ein kleines bisschen Unterwäsche, die ihr Imogen und Thersites
gestern verwehrt hatten.
    Daran musste sie jetzt allerdings nicht denken. Wegen einer
Strafe war sie nicht hier. Wäre Ashur oder dessen Mutter ernsthaft zornig oder
beleidigt gewesen, weil Wendy sich ohne jeden Grund so unmöglich benommen
hatte, dann würde sie es längst wissen. Falls er eine offizielle Entschuldigung
von ihr hören wollte, musste er damit warten, bis das Orakel zu ihr gesprochen
und die Versammlung ein offizielles Ende gefunden hatte. Es war höchst peinlich
gewesen. Eine Situation, die sie gern unter allen Umständen vermieden hätte.
    Catalina kam auf sie zu, sobald sie eingetreten war und auch
das erinnerte sie an gestern Nacht. Die Devena war so herzlich wie eh und je.
Sie hieß Wendy zuhause willkommen. Diese nahm es freudig und irritiert zugleich
auf. Sie wusste ja nicht, worum es ging und warum genau sie hier war. Sie
spürte nur noch mehr, dass zweifellos etwas Großes im Gange war.
Die Sophora trug Ornat. Die Krieger sahen ernst aus und Devena Romana strahlte
von Freude bis Besorgnis so ziemlich alles an Gefühlsregungen aus, was Wendys
eigene Gespanntheit ins Unermessliche steigerte.
Das Orakel bat sie, zu Nicos Rechten Platz zu nehmen. Neben Ash!
    Wendy überlegte, ob sich ihr der Magen gleich oder später
umdrehen sollte. Das freudige Lächeln, das sie Cat gegenüber gezeigt hatte,
verblasste zu einem unsicheren Zug um die Mundwinkel. Wenigstens war
helllichter Tag. Da lief sie kaum Gefahr, ihr schlechtes Benehmen zu
wiederholen. Trotzdem verspürte sie erneut dieses unangenehme Prickeln unter
ihrer Haut. Woher kam das bloß?
    Ihr blieb keine Zeit, etwas zu ihrer Verteidigung
vorzubringen, das ihm einen Hinweis darauf geben könnte, wie leid ihr die Sache
von gestern Abend tat und das sie ihm nicht zu nahe hatte treten wollen. Das
Orakel wies sie, kaum dass sie auf ihrem Stuhl saß und Nico freundlich
zugenickt hatte, in die Visionen der Sophora ein. Es jagte Wendy genau solche
Schauer über den Rücken wie allen Anwesenden zuvor, doch sie verstand und
akzeptierte ihr vorhergesagtes Schicksal sofort.
Es gab nichts anzuzweifeln und die Entscheidung, die sie traf, konnte nur eine
Zustimmung des Ganzen sein. Sie war für eine wichtige, höchst ehrenvolle,
wenngleich auch gefährliche Aufgabe erwählt. Wäre diese Prophezeiung nicht so
ernst, dann hätte man es beinahe als Abenteuer bezeichnen können.
    „Ich denke, ich habe meine Lektion bezüglich des Davonlaufens
gelernt, ehrenwertes Orakel“, entgegnete Wendy mit fester Stimme und einer
kleinen Prise Ironie darin, obwohl alles in ihr sich erst einmal daran gewöhnen
musste, tatsächlich zur Kriegerin bestimmt zu sein und die Erinnerung an
Winston sicher nicht schön aber eben vergangen war.
    „Ich nehme das Schicksal und somit meine Bestimmung ohne
Einwände an. Die Sophora hat es verkündet, dann soll es so sein.“
Ihr Vater atmete einmal sehr tief ein und aus. War er erleichtert? Wütend?
Besorgt? Wendy musterte ihn, doch er gab ihr keinen Hinweis darauf, wie er sich
in diesem Augenblick fühlte. Nico atmete ebenfalls auf. Allerdings wohl nur
erleichtert, weil Wendy nicht auch noch an ihr zweifelte oder Einwände erhob.
Awendela nahm ihre Hand, die auf dem Tisch ruhte und drückte sie

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