Die Nacht der Uebergaenge
Wendy ihr
geraten, den nächsten Bus nach Hause zu nehmen, wenn sie sich dann besser
fühlte. Nun war sie sogar schon bereit, das Mädchen persönlich dorthin zu
geleiten, weil sie tatsächlich mit dieser Art von Misstrauen alle Weichen für
ihre Schwester auf Rot stellte und somit eine größere Gefahr darstellte, als
sie hätte sein sollen.
"Mädchen, was machst du hier?“, erwiderte Wendy so
unbefangen wie möglich, da sie die Kleine in der Gesellschaft der anderen
geglaubt hatte, die darauf warteten, dass das Büffet eröffnet und kühle Drinks
serviert wurden, damit der Smalltalk weitergehen konnte, den man vor dem Ritual
begonnen hatte.
„Rebeka! Ich heiße Rebeka!
Und ich habe zuerst gefragt.“, knurrte es ihr böse entgegen und Wendy hob
beschwichtigend beide Hände.
„Gut, Rebeka! Gut. Ich bin Wendy und nun wäre ich dir sehr
verbunden, wieder zurück zu den anderen zu gehen, bevor sie sich Sorgen um
deinen Verbleib machen, Kleines!“
Damit platzte ein Knoten oder doch eher die Büchse der Pandora, die Wendy
eigentlich um keinen Preis hatte öffnen wollen, da sich hinter der Tür in ihrem
Rücken schon genug Aufruhr für eine ganze Woche befand. Bekkys Wangen wurden
abwechselnd bleich und dann wieder krebsrot. Sie schien dem Hyperventilieren
sehr nahe zu sein und Wendy schloss ganz kurz die Augen, als ihr die
kreischende Stimme eines hysterisch besorgten kleinen Mädchens entgegen
schmetterte, das noch eine ganze Menge zu lernen hatte.
„HIER MACHT SICH KEINER SORGEN UM MICH! GANZ IM GEGENTEIL,
ICH BIN OFFENBAR DIE EINZIGE, DIE SICH HIER UM IRGENDWEN SORGT! WO IST ROMY?
WAS HABT IHR MIT IHR GEMACHT?“
Wäre sie schon eine Immaculate, dann hätte Wendy ihr ganz sicher eine Ohrfeige
verpasst, die sich gewaschen hatte. Doch da das kleine Häufchen Elend, das nun
in Tränen ausbrach, tatsächlich hyperventilierte und nach ihrer Schwester
schrie, sicherlich keinen Schaden nehmen durfte, beließ es Wendy dabei, sie
kräftig durchzuschütteln, bis ihre Zähne nicht mehr nur allein vom heftigen
Schluchzen klapperten. Die Angst vor ihr war so deutlich zu spüren, wie das,
was Wendy vorhin durch das Holz der Tür erlebt hatte. Das Mädchen sah aus wie
eines dieser Kaninchen, die sie in ihren Fallen lebend fing, bevor sie ihnen
den Hals umdrehte. Sie nahm nur Tiere, die alt genug waren, um als Nahrung zu
dienen. Die süßen Kleinen durften weiter leben. Bei Rebeka hier war sich Wendy
allerdings gerade gar nicht mehr so sicher.
„Hör zu, Mädchen ! Ich sage dir das hier nur ein
einziges Mal und ich habe nicht vor, mich zu wiederholen, also sperr die Ohren
auf und lass die Heulerei, weil du dazu nämlich nicht den geringsten Grund
hast, verstanden?“
Wendy schüttelte Rebeka noch einmal heftig durch, bis sie sicher war, das sie
deren vollste Aufmerksamkeit hatte. Das Mädchen schniefte und zitterte so
jämmerlich wie Espenlaub, doch Wendy hatte sich noch nie davon beeindrucken
lassen. Sie war früher ebenfalls ganz genauso wie Bekky gewesen und was hatte
es ihr gebracht? Sie sah es jeden Morgen im Spiegel.
„Deine Schwester ist da drin, weil sie Hilfe braucht und
Hilfe bekommen wird. Es geht ihr nicht gut und sie wird bald sterben. Weißt du,
was das heißt, Bekky?“, fragte Wendy und erwartete tatsächlich eine Antwort auf
diese Frage.
Bekkys Knie gaben nach, doch Wendy hielt sie unbarmherzig fest und schüttelte
sie noch mal, während sie ihre Frage ungeduldig, jedoch ohne laut zu werden,
wiederholte.
„Weißt du, was das heißt?“
„Ich... ich... lass mich los!“
Bekky verging fast vor Angst und ihre laute hysterische Stimme verwandelte sich
in Wendys Ohren in das ängstliche Quieken einer armen Meersau, als sich die
ohnehin schon undefinierbare Augenfarbe von Wendy in ein plötzlich sehr
definierbares, greifbares Rot verwandelten und Bekkys Herz einen winzig kleinen
Aussetzer nach dem anderen versetzte. In ihrem Gehirn herrschte gerade ein verständliches
Durcheinander, aber Wendys Mitleid dafür hielt sich in Grenzen.
„Das heißt, sie wird dich für immer verlassen. Für immer,
hörst du? Sie wird nie mehr zurück kommen und du wirst allein sein. Ganz allein
und niemand wird dich beschützen. Niemand. Denn du wirst Schuld daran sein,
wenn sie sich uns verweigert, du selbstsüchtiges, dummes, kleines Mädchen! Du
wirst sie auf dem Gewissen haben und eigentlich bin ich der Stimmung, dir genau
das widerfahren zu lassen, Rebeka Kiss .“
Woher wusste diese Wendy ihren Namen? Woher wusste sie
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