Die Nacht der Uebergaenge
nicht böse, wirklich nicht! Sie haben mir eine
nötige Lehre erteilt! Ich darf mir solche Dinge nicht so sehr zu Herzen nehmen.
Es ist völlig normal, dass ich als Eindringling wahrgenommen werde… Jemand, der
sich nicht einen Deut um die Gepflogenheiten der Immaculate schert, ich hätte
an Ihrer Stelle sicher nicht anders reagiert, aber das bringt absolut nichts.
Ich tue mir damit nur selbst weh. Ich muss offener werden, ohne meine
Objektivität zu verlieren. Also danke ich Ihnen für die Lektion!“
Manasses legte seine rechte Hand auf sein Herz und beugte den
Kopf in einer ehrerbietigen Geste.
„Sie haben wie eine wahre Patrona gesprochen, Romana! Und Sie werden den
Immaculate noch jede Menge Lehren erteilen, davon bin ich überzeugt! Der
Krieger Manasses liegt in jedem Fall zu ihren zierlichen Füßen!“, schloss er
halb scherzend und hatte dennoch einen sehr ernsthaften Ausdruck in den Augen,
die dann kurz in Richtung seiner Tochter blickten.
„Cat ist wunderschön! Ich könnte sie die ganze Zeit einfach
nur anstarren… Aber das ist es nicht allein. Sie hat die Fähigkeit, dass sich
jemand in ihrer Gesellschaft sofort wohl fühlt. Ich bin sehr froh, dass ich
diesen Weg nicht allein gehen musste, dass es noch jemanden gibt, der ein
Anfänger wie ich ist!“ Romy ging lieber nicht darauf ein, warum der Vater seine
Tochter im Stich gelassen hatte, das war kein Thema für dieses Fest. So gut
kannte sie ihn jetzt nicht, dass er ihr alle Geheimnisse anvertrauen würde.
Unwillkürlich musste sie an sein Kompliment denken, an dem sie stark zweifelte,
weil sie hier im Saal alle Damen besser aussahen als sie. Sogar die (viel)
älteren Frauen umgab eine unglaubliche Aura. Das Orakel selbst war beinahe
viertausend Jahre alt! Es war unfassbar. Romy musste sich diese Tatsachen immer
wieder vor Augen führen, an die sie sich bestimmt nur nach sehr langer Zeit
gewöhnen würde, wenn sie sich denn dazu entschloss, sich umwandeln zu lassen.
Das oder sterben… Wie ihre uneinsichtige Mutter . Es käme bestimmt einem
Selbstmord gleich, wenn sie sich nicht zusammen riss und es hinter sich
brachte.
Bei dem Gedanken suchte Romy den Saal mit ihren Augen ab,
weil sie Bekky nach dem Ritual noch nicht gesehen hatte.
„Manasses? Würden Sie mich zu meiner Schwester begleiten? Ich möchte ihre
Sorgen um mein Wohlergehen zerstreuen…“
Der Krieger neigte den Kopf und führte sie zu ihrer Schwester, die bei einem
jungen Pärchen stand. Den jungen Mann kannte sie vom Sehen, er gehörte zu Rys’
Truppe. Wie war noch die Bezeichnung für diese Männer? Enforcer. Die hatten sie
ganz schön dumm dastehen lassen.
Die Vorstellung verlief etwas verkrampft, weil Bekky nicht unbedingt erfreut
schien, Manasses an ihrer Seite zu sehen. Vielleicht war das nachvollziehbar,
er war nicht unbedingt der Typ Mann, der ein einnehmendes Wesen hatte. Er sah
ziemlich hochmütig drein, aber Romy würde sich davon nicht mehr abschrecken
lassen. Sie verstand seine Haltung. Jeder versuchte, seine innersten Gefühle
und Gedanken auf eben die Art und Weise zu schützen, die er am besten
beherrschte.
„Würden uns die Herrschaften kurz entschuldigen? Ich habe
kaum Gelegenheit gehabt, mich mit meiner Schwester zu unterhalten, Sie
verstehen das bestimmt! Ich bringe Sie auch sofort wieder zu Ihnen zurück,
damit Sie sich besser kennen lernen können!“, bat Romy und wunderte sich
selbst, dass solche Worte aus ihrem Mund kamen, als hätte sie die Etikette mit
der Muttermilch aufgesogen.
Na, klar! Ich hatte die allerbeste Kinderstube in einem Haus, mit dem man
durchs Land ziehen konnte… Gutes Benehmen war eigentlich eher Bekkys
Stärke, aber davon war die letzten Tage nichts zu merken gewesen.
„Du siehst wunderhübsch aus, Bekky! Ich finde es sehr
ärgerlich, dass Rys Harper mehr von schönen Kleidern und Schmuck versteht als
ich!“, meinte sie mit einem schiefen Lächeln, während sie ihre kleine Schwester
durch die Menge führte, um mit ihr ein ruhiges Plätzchen aufzusuchen, das sie
hinter einem schweren Vorhang fand, hinter dem eine Flügeltür offen stand und
die laue Nachtluft ins Zimmer wehen ließ. Draußen entdeckte sie eine offene
Terrasse, von der aus ein paar flache Stufen runter in den Garten oder vielmehr
in den Park führten. Sie waren nicht die einzigen, die beschlossen hatten,
etwas frische Luft zu nehmen, also gingen sie eine Weile wortlos einen
gefliesten Weg entlang, bis sie eine ruhige Sitzgelegenheit erreichten, auf der
sich Romy
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