Die Nacht der Uebergaenge
schwach und zu
durcheinander… du bist vorhin mit Wendy in den Saal gestürmt gekommen. Du warst
außer dir… Das kann ich verstehen. Ich hätte auch Todesängste um dich
ausgestanden, wenn ich dich so hätte sehen müssen. Aber deine Feindseligkeit
hat alles für mich nur noch schlimmer gemacht, also bat ich das Orakel darum,
dass du diese Szene nicht sehen solltest! Ich gab praktisch den Befehl dazu und
er wurde sogleich ausgeführt! Du hast vergessen, was du gesehen hast… Siehst du
nicht, wie sehr sie uns entgegenkommen? Sie legen diese unglaubliche Macht in
meine unwissenden und unwürdigen Hände, Bekky! Und ich habe gar nichts weiter
geleistet, als ihnen mit Misstrauen und Ablehnung zu begegnen… Das ist sehr
beschämend!“
Romy schloss die Augen und ließ ihrer kleinen Schwester Zeit, eine Entscheidung
für sich zu treffen. Es war vielleicht nicht ganz fair, das gerade hier und
jetzt anzusprechen, aber es musste sein, bevor sie nach Hause fuhren, wann
immer das sein würde. Durfte sie überhaupt in ihr altes Leben zurück, oder
hatte sie nun alles aufgegeben, was ihr bisher als sinnvoll und erfüllend
erschienen war?
Bekkys Augen wurden groß und füllten sich im nächsten
Augenblick mit Tränen, die sie nicht mehr fortblinzeln konnte. Sie schämte sich
bei jedem Wort, das Romy zu ihr sagte, mehr und mehr. Förmlich in Grund und
Boden. Sie hatte sich schändlich daneben benommen. Das war so falsch und
egoistisch gewesen, dass jetzt jede Entschuldigung aus ihrem Mund nicht einmal
annähernd wieder gut machen konnte, was sie durch ihre Sturheit und
Verbocktheit angerichtet hatte.
Der Mond schien hell über ihren Köpfen. Er beleuchtete nicht nur sie auf
gespenstisch und seltsam unromantische Art und Weise, sondern auch den
gigantischen Eingangs eines Heckenlabyrinths, der hinter Romy in einiger
Entfernung wie das furchterregende Maul eines Ungeheuers... eines Vampirs...
eines Monsters aussah, der Bekky Schauer über die unbedeckten Arme jagte.
Nein, sie durfte nicht mehr so denken. Nie mehr. Das war
nicht richtig. Es waren keine Monster in diesem Schloss, welches das Orakel ihr
eigen nannte. Sie versuchten nur, Romy und ihr zu helfen. Niemand war böse zu
ihr gewesen, sondern nur sie allein. Das hatte Theodor ihr eben mit sehr viel
klareren Worten als Romy zu verstehen gegeben. Die Ehrlichkeit ihrer Schwester
jedoch schmerzte bei weitem mehr und tiefer als die Standpauke des jungen
Immaculates. Sie wollte Romy nicht verlassen und sie wollte nicht, dass es ihr
schlecht ging. Sie würde sich bessern. Ganz bestimmt sogar. Darauf würde sie
beim Grab ihres gemeinsamen Vaters schwören. Und das war doch etwas wert, oder
nicht? Schließlich war er ein... Bekky schluckte schwer, denn es überstieg
trotzdem immer noch ihren Horizont... Vampir gewesen.
Mit einem schluchzenden Laut ließ sie sich neben Romy auf die
Bank nieder und umarmte ihre Schwester so fest sie konnte. Das Gefühl, sie in
diesem Moment vielleicht doch schon verloren zu haben, brachte sie beinahe um
den Verstand. Sie weinte heftige Tränen und umklammerte die Hände ihrer
Schwester so fest, dass es beiden wehtat. Doch das war es wert, wenn ihre
Schwester sich nicht von ihr abwandte, obwohl sie Romy im Stich gelassen hatte.
Zu hören, wie schlecht es ihr wirklich ergangen war und dass sie das vergessen
hatte, war ein furchtbares Gefühl.
„Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich war
selbstsüchtig und dumm. Es war einfach zu viel in den letzten Tagen und Wochen.
Wir sind doch gerade erst zusammen gezogen und dann überfallen dich diese...
diese... Ghouls und plötzlich stehen wir unter Bewachung und es geht darum, das
Blut eines anderen Menschen zu trinken, der eigentlich gar kein Mensch ist...
es ist... ich bin... ich meine...“
Bekky wischte sich ziemlich undamenhaft mit dem Handrücken unter der
schniefenden Nase entlang, was ihr aber egal war, da sie und Romy unter sich
waren und die Panik soeben wieder Besitz von ihr ergriff, die sie unbedingt
abschütteln musste. Romy sollte ihr eine Ohrfeige verpassen. Vielleicht half
das.
Nein, sie holte tief Luft und hielt Romy, die sich erheben
wollte, weil man Bekky offenbar nicht umstimmen und begreifend machen konnte,
zurück, in dem sie diese noch einmal umarmte, ihren Kopf trostsuchend an deren
Schulter barg. Wenn sie ganz flach atmete und nur noch flüsterte, würde es
vielleicht besser gehen. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, konnte sie
ihrer Schwester auch wieder ins
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