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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Wenn ihr euch anstrengt, sind wir bald zu Hause!«
    Die Arbeit mit den Hunden vertrieb Clarissas Gedanken an Frank Whittler und drängte auch den Schmerz über Alex’ Tod in den Hintergrund. Wer in der Wildnis überleben wollte und so gehandicapt war wie sie ohne einen ihrer Huskys, brauchte die ganze Kraft für das Lenken des Schlittens und durfte sich keine gedanklichen Ausflüge erlauben. Ein kleiner Fehler, zu spätes Bremsen, wenn Benny sich mit seiner ungewohnten Rolle nicht zurechtfand und stürzte, und sie gerieten in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Verletzung eines weiteren Hundes würde sie nur schwer verkraften und ihre Rückkehr nach Fairbanks um weitere Tage verzögern.
    Doch die Erkenntnis, dass sie ihren Mann niemals wiedersehen würde, zumindest in dieser Welt, war so schmerzhaft, dass es ihr nicht gelang, sich vollkommen davon zu lösen. Nachdem die Gefahr, von Frank Whittler überrascht und getötet zu werden, so gut wie gebannt war, schien sich der Schmerz immer stärker in ihren Körper zu brennen und den Platz, den die Angst vor Frank Whittler hinterlassen hatte, bis zur letzten Faser auszufüllen. Niemand hatte Alex’ Leiche gesehen, aber die Indizien für seinen Tod waren so stark, dass es keine Zweifel mehr gab. Alex war für immer für sie verloren.
    Vielleicht waren es diese quälenden Gedanken, die sie nicht genug auf das Wetter achten ließen. Von ihr unbemerkt, waren dichte Wolken von Norden herangezogen, drohende Vorboten eines Blizzards, die sich über ihnen am dunklen Himmel zusammenballten und nur darauf zu warten schienen, sich zu entladen. Obwohl es bereits auf Mittag zuging, blieb es auch am östlichen Horizont dunkel, und der Mond und die Sterne waren längst geflohen und ließen das Flusseis noch blasser und unwirtlicher aussehen. Der Wind blies eisige Schleier über das aufgeworfene Eis am anderen Flussufer.
    Erst die warnenden Knurrlaute ihres Leithundes und seine aufgestellten Ohren ließen sie die Gefahr erkennen. »Ein Blizzard!«, rief sie Dolly zu. Ihre Freundin war auf dem Schlitten eingenickt und wachte so plötzlich auf, dass der verletzte Charly in ihren Armen ängstlich zu jaulen begann. »Ein Blizzard! Halt dich gut fest! Wir müssen sofort ans Ufer. Emmett … nach rechts!«
    Clarissa lenkte den Schlitten vom Trail und jagte die Huskys zum Ufer. »Unter das Steilufer! Da sind wir einigermaßen geschützt!« Sie trieb ihr Gespann mit heiseren Schreien über das raue Eis, beugte sich nach links, um den Schlitten nicht nach rechts kippen zu lassen, und spürte bereits die eisigen Böen im Rücken. Der Wind pfiff und orgelte und ließ erkennen, dass er sich nicht länger gedulden würde. »Beeilt euch! Schneller, Emmett, giddy-up go!«
    Der Trail hatte in der weiten Biegung, die sie angegangen waren, mitten über den Fluss geführt, und bis zum Ufer war es beinahe eine Viertelmeile. Eine halbe Ewigkeit, wie es Clarissa vorkam, denn sie schienen der schützenden Böschung kaum näher zu kommen, noch dazu standen seltsam geformte Eisgebilde im Weg, die aus dem Fluss gewachsen waren und sie immer wieder zu Umwegen zwangen. Es wurde dunkler und stürmischer, und dann setzte auch noch heftiges Schneetreiben ein, als hätte jemand einen Schalter umgedreht, um es Clarissa noch schwerer zu machen. Von einer Sekunde auf die andere war sie von dichtem Flockenwirbel eingehüllt, der sie kaum noch ihren Leithund und das rettende Ufer nur als langen schwarzen Schatten erkennen ließ.
    »Vorwärts, Emmett!«, schrie sie in den lauter werdenden Wind. »Wir haben es gleich geschafft! Nur noch ein paar Schritte! Beeilt euch … giddy-up!«
    Gejagt von dem unbarmherzigen Wind, gaben die Hunde alles. Vor allem Benny bot seine letzten Reserven auf, um möglichst schnell das Ufer zu erreichen, angetrieben von Emmett, der sich immer wieder umdrehte und seine Artgenossen mit kräftigen Schritten zum Äußersten zwang. Dolly kauerte auf der Ladefläche, eine Hand am Schlitten und die andere schützend über Charly gelegt. Clarissa stand geduckt auf dem Trittbrett, federte jede Erhebung mit den Knien ab und kam doch zu spät, als die rechte Kufe über aufgeworfenes Eis holperte, sie es nicht mehr schaffte, ihr Gewicht zu verlagern, und sich der Schlitten langsam zur Seite neigte. Dolly fiel mitsamt den Decken von der Ladefläche und stürzte auf das Eis, den verletzten Hund noch immer in den Armen, fluchte und schimpfte, was das Zeug hielt, und blieb hinter dem Schlitten in der Dunkelheit

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