Die Nacht der Wölfe
ihrer Eile beinahe vergaß, den zurückbleibenden Huskys genug Futter dazulassen. Sie holte das Versäumte nach, stieg aufs Trittbrett und fuhr auf den Trail nach Norden. »Giddy-up! Go! Vorwärts, ihr Faulpelze! Wir dürfen Alex nicht im Stich lassen! Wer weiß, ob der Marshal nach ihm suchen lässt. Der will doch nur die Verbrecher fangen, um in Anchorage gut dazustehen. Vielleicht will er Gouverneur werden, wer weiß das schon? Lauf, Emmett, vorwärts!«
Die Huskys merkten, dass Clarissa wild entschlossen war, so schnell wie möglich von ihrer Blockhütte wegzukommen, und rannten, so schnell sie konnten. Mit weit ausholenden Sprüngen setzten sie über den Trail, blieben dabei so gleichmäßig, dass der Schlitten weder aus der Spur kam noch ins Schlingern geriet. Clarissa stand gebückt auf dem Trittbrett, schaffte es zwar nicht, ihren eigenen Gedanken zu entfliehen, hatte aber zumindest das Gefühl, etwas zu tun. Wenn ihrem Mann etwas zugestoßen war, wollte sie wenigstens alles versucht haben, um sich später keinen Vorwurf machen zu müssen.
Erst nach ungefähr einer halben Meile wurde ihr bewusst, wie sehr die ungewohnte Panik ihr die Sinne vernebelte. Sie ermahnte sich zur Ruhe, ging noch einmal in Gedanken durch, ob sie alles Notwendige für eine längere Fahrt mitgenommen hatte, und fuhr langsamer als bisher weiter. Über die Hügel zogen dichte Nebelschwaden herauf, waberten in dem düsteren Halbdunkel über dem Trail, der sich am Waldrand entlang nach Norden wand, und blieben wie zähe Watte in den Baumkronen hängen. Teilweise war der Nebel in diesem Tal so dicht, dass sie kaum noch ihren Leithund erkennen konnte.
Vor der Steigung, die zum Wald hinaufführte, verlangsamten ihre Huskys plötzlich das Tempo. Ohne dass sie ein Kommando gegeben hätte, blieb Emmett auf einmal stehen und zwang die anderen Hunde, ebenfalls im Schnee zu verharren. Clarissa bremste den Schlitten gerade noch rechtzeitig und rief: »Was ist denn plötzlich in dich gefahren, Emmett? Hast du keine Lust mehr? Lauf gefälligst weiter! Ich hab keine Lust, hier den ganzen Tag herumzustehen.«
Emmett drehte sich um und jaulte unterdrückt, machte aber nicht die geringsten Anstalten, ihr zu gehorchen. Er schien Angst zu haben, ein Gefühl, das sie noch nie bei ihm bemerkt hatte. Die anderen Hunde wirkten noch ängstlicher, vor allem der junge Benny, der sich so weit zurückzog, wie es die Leine erlaubte, und am liebsten davongelaufen wäre. Chilco brummte angriffslustig, zog aber rasch den Schwanz ein, als sich Emmett vorwurfsvoll zu ihm umdrehte. Wie auf ein stummes Kommando rückten die Hunde langsam zurück.
»Was soll das, Emmett? Ein Elch?«
Sie rammte rasch den Anker in den Schnee und zog ihren Revolver aus der Anoraktasche. Wenn tatsächlich ein Elch in der Nähe war, konnte man nicht vorsichtig genug sein. Mit seinen schweren Hufen konnte selbst ein junges Tier einem Husky den Schädel zertrümmern oder ihn so schwer verletzen, dass er auf das Gnadenbrot seines Mushers angewiesen war. Sie lief geduckt am Schlitten und dem Gespann entlang, die Waffe schussbereit in der rechten Hand. »Keine Angst, Emmett!«, flüsterte sie ihrem Leithund zu. »Das kriegen wir schon.« Sie kraulte ihn zwischen den Ohren und lief vorsichtig in den Nebel hinein. Irgendetwas musste die Hunde sehr erschreckt haben, vielleicht sogar der riesige Grizzly, dem sie schon auf der letzten Fahrt begegnet war.
Ihre Vorsicht war überflüssig. Als sich der Nebel vor ihr lichtete, sah sie Bones auf dem Trail stehen. Der Wolf stand breitbeinig im Schnee, als wollte er sie und die Hunde daran hindern, weiter nach Norden zu fahren. Seine Ohren waren angriffslustig nach oben gerichtet, ließen keinen Zweifel daran, dass er Clarissa und den Hunden den Weg versperrte, doch sein Schweif zeigte nach unten, ließ ihn eher enttäuscht und müde wirken. Ein Gefühl, das nur ein Geisterwolf vermitteln konnte, denn als solchen bezeichnete ihn sogar Alex, der zwar sein Jaulen gehört, ihn aber nie mit eigenen Augen gesehen hatte.
»Bones!«, stieß sie überrascht hervor. Sie steckte ihren Revolver in die Anoraktasche zurück und blieb in angemessener Entfernung vor dem Wolf stehen. Er wirkte so ausgezehrt wie eh und je, obwohl er erst vor Kurzem ein Tier gerissen haben musste. An seiner Schnauze war Blut. »Wo warst du denn die ganze Zeit?« Nach ihrem Unfall und auf dem Yukon hatte sie vergeblich nach ihm Ausschau gehalten. »Bist du gekommen, um mir was zu
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