Die Nacht der Wölfe
vom Schlitten ins Haus und zog Anorak, Mütze und Handschuhe aus. Sie setzte frischen Tee auf, erhitzte zwei Biskuits aus dem Vorratsbeutel und aß etwas von dem Elchschinken dazu, den sie von Rose bekommen hatte.
Zum Nachtisch gönnte sie sich zwei Riegel von der Schokolade, die Alex ihr mitgebracht hatte. Sie hatte einen bitteren Beigeschmack, der sich auch mit dem Tee nicht vertreiben ließ. Nur um nicht an Alex denken zu müssen und sich abzulenken, nahm sie den Strohbesen und säuberte die Hütte, kehrte sogar unter dem Bett und in den dunklen Ecken. Sie putzte die Fenster, erhitzte inzwischen Wasser in einem Kessel und kochte die schmutzige Wäsche, schrubbte sie auf ihrem Waschbrett und hängte sie an der Leine über dem Ofen zum Trocknen auf. Erst dann, als es nichts mehr zu tun gab und es bereits auf Mitternacht zuging, ließ sie sich erschöpft auf einen Stuhl fallen.
Minutenlang saß sie bewegungslos am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, und starrte mit leeren Augen vor sich hin. Wenn sie sich nicht beschäftigte, kamen sofort die quälenden Gedanken, und sie fragte sich, warum das Schicksal so ungerecht war und sie innerhalb weniger Jahren zum zweiten Mal von ihrem Mann trennte, und warum sie auch diesmal wieder an ihre Grenzen gehen musste, wenn es noch Hoffnung auf ein Wiedersehen geben sollte. Sie glaubte nicht mehr daran, dass er zurückkehren würde. Wäre er nur leicht verletzt, hätte er sich doch längst schon bemerkbar gemacht oder in der Hütte auf sie gewartet, und die Indianer hätten gewusst, wo er sich aufhielt. Kein Weißer kämpfte sich unbemerkt durch die Berge.
Sie versuchte zu lesen, drehte den Docht der Petroleumlampe hoch und blätterte in ihrem Buffalo-Bill-Heft, nur um es nach wenigen Minuten wegzulegen und leise zu fluchen. In dieser Verfassung konnte sie sich nicht konzentrieren, schon gar nicht auf eine läppische Abenteuergeschichte, die ihr vorgaukelte, ein verletzter Westmann könnte sich hundert Meilen über die Prärie schleppen und vor dem Tor eines Forts zusammenbrechen, in dessen Krankenstation ihn ein betrunkener Quacksalber vor dem Tod rettete.
Sie zog sich eine Jacke über und ging nach draußen, sprach beruhigend auf ihre Huskys ein, während sie zum Mond und der Sternen emporblickte und das Farbenspiel des Nordlichts genoss. Auch nach mehr als drei Jahren in der Wildnis erfreute sie sich an den hauchdünnen Schleiern, die in allen Farben des Regenbogens über den Himmel flatterten. Die Indianer behaupteten, auf diese Weise würden die Geister der Verstorbenen in bunten Schleiern durch die Dunkelheit tanzen und das irdische Leben hinter sich lassen. War Alex bereits unter ihnen? Grüßte er sie aus seiner neuen Heimat bei den Sternen?
Mit Tränen in den Augen verharrte sie im bunten Licht. Sie merkte gar nicht, wie die Kälte unter ihre Kleidung kroch und auf ihrer Haut brannte und der Wind, der wieder aufgefrischt hatte, in ihr Gesicht blies. Erst das laute Bellen eines Huskys riss sie aus ihren Gedanken. »Chilco! Beruhige dich!«, rief sie ihm zu. Sie kehrte ins Haus zurück, schloss die Tür und schob den Riegel vor. Nachdem sie sich ausgezogen und die Lampe gelöscht hatte, schlüpfte sie in ihr langes Flanellnachthemd und legte sich ins Bett. Nur weil sie von ihrer Verletzung und der Anstrengung der letzten Tage erschöpft war, schlief sie ein, wurde aber von quälenden Albträumen geplagt, in denen sie ihren Mann blutüberströmt durch einen tobenden Blizzard stolpern sah.
Früh am nächsten Morgen wachte sie auf. Sie fühlte sich wie gerädert und brauchte einige Zeit, bis sie wieder klar denken konnte. Daran änderte auch das kräftige Frühstück nichts, das sie sich nach dem Füttern der Huskys gönnte. Ihre Lage war immer noch so verzweifelt wie am Abend zuvor, und der Gedanke, den ganzen Tag untätig in der Hütte herumzusitzen und darüber nachzudenken, wo sich ihr Mann befand, machte ihr so schwer zu schaffen, dass sie hastig einige Vorräte zusammenpackte, die trockene Kleidung von der Leine nahm und ungebügelt in einen Beutel stopfte, in ihre Winterkleidung schlüpfte und mit dem Vorratssack nach draußen trat. »Hey, Emmett!«, rief sie. »Was hältst du davon, wenn wir gleich fahren? Ich hab keine Lust, hier untätig rumzusitzen und darauf zu hoffen, dass Alex es auf eigene Faust bis zu unserer Hütte schafft. Wir müssen nach ihm suchen … jetzt … sofort!«
Sie merkte gar nicht, dass sie von bloßer Panik getrieben wurde und in
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