Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
Vom Netzwerk:
der Zivilisation war das Haus beinahe fürstlich eingerichtet. Die Couch und die beiden Sessel waren aus kostbarem Leder, der runde Tisch und das Regal mit den Büchern aus edlem Holz, und der Holzboden verschwand fast vollständig unter einem dicken Teppich. An den Wänden hingen ein Gemälde, das wohl Chicago darstellen sollte, und einige Fotografien.
    »Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte Candleberry, als er aus der benachbarten Küche zurückkehrte, »aber ich bin erst seit einigen Monaten in Alaska und kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, dass sich schöne Frauen wie Sie in Männerkleidung zeigen und auf die Jagd gehen oder mit Hundeschlitten durch die verschneiten Wälder fahren. Ich komme aus Chicago, immerhin eine der größten und modernsten Städte der Vereinigten Staaten, und dort wäre so etwas nie möglich. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde es bewundernswert, welche Qualitäten die Frauen in Alaska entwickeln … ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren, wie ich betonen möchte.«
    Clarissa verspürte keine Lust auf eine Diskussion, erwiderte aber dennoch: »Auch hier sind wir in der Minderzahl, Doktor. Aber wer in der Wildnis überleben will, muss stark sein, egal, ob Mann, Frau oder Kind.«
    Ihr Blick blieb an dem Gemälde hängen, das auch eine Fotografie sein konnte, einer Stadtansicht mit riesigen Häusern, wie es sie nicht einmal in Vancouver gab, und einer breiten Straße, die sich wie ein Hohlweg durch das Häusermeer zog und auf der sich Straßenbahnen, Fuhrwerke und unzählige Menschen drängten.
    »Chicago«, erklärte Candleberry wehmütig. »Ich vermisse die Stadt sehr. Leider ist es mir nicht mehr vergönnt, dort zu praktizieren. Eine Kette von widrigen Umständen und tragischen Missverständnissen.« Er wusste wohl, dass die meisten Leute in Alaska von seinen Verfehlungen wussten, ging aber nicht näher darauf ein. »An dieses wilde Land muss man sich erst gewöhnen.«
    Clarissa wurde ungeduldig, rutschte auf ihrem Sessel nach vorn und sagte: »Warum war mein Mann bei Ihnen, Doktor? Sie müssen sich doch an ihn erinnern. Er musste einen Kredit aufnehmen, um Ihre Rechnung zu bezahlen.«
    »Wie war noch der Name, Ma’am?«
    »Carmack. Alex Carmack.«
    »Richtig«, schien er sich erst jetzt an ihren Mann zu erinnern. »Alexander Carmack. Der Fallensteller, nicht wahr? Aus der Nähe von Fairbanks. Er konnte keine genaue Adresse angeben. An einem Nebenfluss des Chena.«
    »Dort steht unser Blockhaus. Warum war er bei Ihnen, Doktor?«
    »Das darf ich Ihnen leider nicht sagen.«
    »Wie bitte?« Clarissa war aufgesprungen und funkelte den Doktor wütend an. Ihr Gesicht war rot vor Aufregung, und ihre Hände waren zu Fäusten geballt. »Alex war mein Mann, und ich habe das verdammte Recht zu erfahren, was mit ihm war. Sagen Sie es mir gefälligst … jetzt! Ich muss es wissen!«
    »Können Sie sich denn ausweisen?« Er sah, dass Sie kurz davor war zu explodieren, und fügte schnell hinzu: »Ich frage nicht aus bösem Willen oder Misstrauen, Ma’am, aber ich habe in Chicago erfahren müssen, wie gefährlich es sein kann, wenn man sich über Vorschriften hinwegsetzt. Ich bin froh, hier praktizieren zu dürfen, und habe nicht vor, meine Lizenz aufs Spiel zu setzen. Sie können mir doch sicher beweisen, dass Sie Mrs Carmack sind …«
    Sie brauchte nicht lange zu überlegen. »Was soll ich denn dabeihaben? Meinen Sie, ich fahre unsere Heiratsurkunde spazieren?« Sie stand immer noch und sprach so laut, dass der Doktor regelrecht zusammenzuckte. »Ich bin seine Frau … seine Witwe, um genau zu sein, das müssen Sie mir schon glauben. Warum sollte ich wohl sonst mitten in der Nacht hier aufkreuzen?«
    »Ich weiß es nicht, Ma’am …«
    »Sehen Sie sich meine Hunde an«, kam sie auf die rettende Idee. »Alex … mein Mann war mit demselben Gespann hier. Sie erkennen sie bestimmt wieder.« Sie ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Eisige Luft und wirbelnde Schneeflocken wehten zur Tür herein. »Emmett! Charly! Benny! Zeigt euch!«
    »Machen Sie die Tür zu!«, rief der Doktor, als der eisige Wind unter seinen Morgenmantel fuhr. »Ich kann einen Husky nicht vom anderen unterscheiden. Nun machen Sie schon! Ich sage Ihnen ja, was Sie wissen wollen.«
    Clarissa schloss die Tür und kehrte zu ihrem Sessel zurück. Doktor Candleberry erinnerte sie auf fatale Weise an die reichen Schnösel, die sie nach dem Tod ihrer Eltern in Vancouver kennengelernt hatte. Die Sorte Männer, mit der

Weitere Kostenlose Bücher