Die Nacht des Satyrs
vorher zu erfahren, wo in Venedig er logierte. Was sollte er tun?
Während Raine sich mit großen Schritten entfernte, traf der Bischof eine Entscheidung. Er wandte sich zu dem Saaldiener um, der ihm nach draußen gefolgt war. »Ich habe beschlossen, heute Abend doch nicht zu dem Vortrag über Phylloxera zu gehen. Stattdessen möchte ich diesen weiterhören.«
»Aber Signore!«, jammerte der Mann, der im Begriff war, ihm ein weiteres Mal zu erklären, was er bereits hinlänglich deutlich gemacht hatte.
»Sì, sì!«, fiel der Bischof ihm ungeduldig ins Wort. »Ihr müsst mir nicht noch einmal alles herunterbeten. Was kostet ein Billett für diesen Vortrag?«, fragte er und wies dabei auf die Tür.
Auf die Antwort des Saaldieners hin gab der Bischof ihm die Billettsumme sowie einen kleinen Aufschlag.
»Ich zahle Euch noch mehr, wenn Ihr mich informiert, sowie der Herr, der eben aus dem Saal ging, das Gebäude verlässt«, erklärte er.
Der Saaldiener steckte das Geld ein, nickte eifrig und machte sich auf, Raine nachzulaufen.
Der Bischof packte seinen Arm und hielt ihn fest. »Er darf nicht merken, dass Ihr ihn beobachtet.«
»Nein, nein. Natürlich nicht. Seid unbesorgt! Ich werde diskret sein.« Nachdem er sich mehrmals verbeugt hatte, huschte er davon.
Der Bischof blickte ihm nach und hoffte, dass dem Mann zu trauen war. Dann drehte er sich um und ging in den Saal zurück.
Mehrere närrische Herren der Medizin waren inzwischen aus dem Publikum auf die Bühne getreten, wo sie die Abscheulichkeit unter genaueren Augenschein nahmen und weitere Fragen stellten. Der Hermaphrodit war eine Beleidigung für die Augen, seine Worte beschämten die Ohren. Dennoch bekam der Bischof ein steifes Glied, als er sah, wie an der Kreatur herumgetastet und -gestochert wurde. Er richtete die Falten seiner Alba so, dass niemand es sehen konnte, und suchte sich rasch einen Platz in der hintersten Reihe.
Dort glitten seine Hände unter die Falten, fanden seinen steifen Schwanz und begannen, zu pumpen. Bei Gelegenheiten wie dieser, die nach heimlichem Handeln verlangten, erwies seine Bischofsrobe sich als überaus nützliches Gewand.
Der Beruf des Geistlichen war nie seine erste Wahl gewesen. Vielmehr hatte der Verlust des Familienvermögens ihn vor zwanzig Jahren in den Klerus gezwungen. Er war auf einmal genötigt gewesen, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern, der überdies auch noch unangenehm bescheiden ausfiel. Sollte es ihm also gelingen, sich einen Gönner wie Satyr zu sichern, würden seine Umstände sich erheblich verbessern.
Seine Hand pumpte weiter, und seine Gedanken schweiften weit von der Phylloxera oder der Kirche ab. Stattdessen erblühte seine Hoffnung, was die Möglichkeiten betraf, die ihm die heutige Nacht eröffnen könnte. Und ausnahmsweise blieben seine Lippen regungslos und stumm, während er im Geiste jene Worte repetierte, die er sich für den Moment zurechtgelegt hatte, in dem er endlich mit Satyr allein wäre.
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5
Ü ber eine Stunde später hatten sich die Fragen in dem medizinischen Theater endlich erschöpft, und die Zuschauer waren gegangen. Zurück blieb lediglich eine auserwählte Gruppe von fünf Männern, von denen jeder Salerno eine beträchtliche Summe zahlte, um Jordan in weniger öffentlichem Rahmen untersuchen zu dürfen.
Sobald sie sich auf der Bühne eingefunden hatten, schloss Salerno die Vorhänge zum nunmehr leeren Zuschauerraum und schuf auf diese Weise eine intimere Atmosphäre für die verbleibenden Herren.
Jordan hörte die Glocke auf der Piazza sieben Uhr schlagen. Gemäß der Vereinbarung zwischen Salerno und ihrer Mutter durfte sie nicht vor Mitternacht gehen. Folglich blieben noch fünf Stunden.
Außer ihr hatte niemand es eilig, die Vorführung zu beenden. Wein und ein Tablett mit hochstieligen Gläsern wurden gebracht, und die Männer richteten sich für einen langen Abend in ihrer Gesellschaft ein.
Bei zweien der Gäste handelte es sich um venezianische Adlige, wie Jordan schnell mitbekam. Da sie nichts Besseres zu tun und mehr Geld hatten, als sie ausgeben konnten, vertrieben sie sich hier auf Jordans Kosten ihre Langeweile.
Ein Mann war ernster, ein Engländer, der sich fortwährend die Brille auf seiner Nase zurechtrückte. Wenigstens ihn dürfte echte medizinische Wissbegier veranlassen, im Theater zu bleiben.
Der vierte Mann war ein großer bärtiger Sizilianer, dessen tiefliegende Augen Jordan ebenso gründlich betrachteten wie vorhin die des
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