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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hat gesagt, sie habe es von dem Aalverkäufer, der an jedem Morgen bei ihr vorbeikommt.»
    «Aus dritter Hand», ergänzte Magnus noch kauend. «Du hast gesagt, sie hat gesagt, er wisse es nur aus dritter Hand.»
    «Aha! Er hat gesagt, sie hat gesagt, aus dritter Hand!» Wagners Brauen zogen sich zu einer einzigen dunklen Linie über der Nasenwurzel zusammen. «Daran erkennt man doch schon, was so ein Geplapper wert ist. Und wieso schon am Morgen nach seinem Tod?»
    «Immer so schnell wie möglich, Wagner. Gerüchte haben es eiliger als die Wahrheit. Die ganze Geschichte ist doch eigentümlich genug, um noch ein paar Bilder dazuzudichten. Wie soll ich mir das vorstellen? Der Mann ist ins Fleet gefallen, betrunken – nun gut, sonst fällt man kaum von der Brücke, das Geländer dort ist heil und stabil. Er ist also gefallen, dann ist jemand vorbeigekommen, hat ihn da unten liegen sehen und gedacht: Die Gelegenheit ist günstig …»
    «Durchaus möglich.» Wagner bemühte sich, Rosinas Rede nicht als unfreundlich oder spöttisch zu empfinden. Da sie zumeist sagte, was sie dachte, klang es nicht immer rücksichtsvoll oder höflich, dafür hatte es seinen Gedanken schon manches Mal aus einer Sackgasse geholfen. «Grabbe hat in der Nachbarschaft herumgefragt, leider vergeblich, keiner hat was gesehen, alle haben geschlafen. Es ist schon erstaunlich, wie gut die Leute am Rödingsmarkt schlafen. Solange wir niemand finden, der es gesehen hat, kann ich nur vermuten, was passiert ist, ja, aus den Umständen und seinen Verletzungen.»
    «Welchen Umständen?», fragte Magnus.
    «Nun, wie er im Schlick gelegen hat, als die Nachtwächter ihn gefunden haben, nämlich auf dem Bauch, das Gesicht nach unten, die Arme ausgestreckt, nahe dem Aufstieg. Das hat Haber gesagt, der Nachtwächter, der den Toten entdeckt hat.»
    «Sonst wusste der Nachtwächter nichts?», fragte Rosina.
    «Nein, leider. Zuletzt hat Jakobsen Hofmann an der Gasthaustür gesehen, der Nächste war der Nachtwächter, gegen Morgen. Es war noch dunkel, er hat nur den Körper im Fleet gesehen, sonst war da nichts. Wenn gerade hohe Flut gewesen wäre, hätte das ablaufende Wasser ihn wohl mit raus in die Elbe gezogen.»
    «Dort hätte man ihn auch gefunden, oder?», fragte Magnus. Er stammte nicht von der Küste und war immer wieder beeindruckt, welchen Einfluss die Gesetzmäßigkeiten der Gewässer hier auf den Alltag hatten.
    «Sicher, aber später. Und man hätte nicht gewusst, wo er ins Wasser, nun ja, gefallen war.»
    «Jemand hat ihn begleitet», fuhr Magnus fort, «die Männer haben Streit bekommen, wurden handgreiflich, Hofmann fiel übers Geländer oder wurde gestoßen – und dann mit der Stange unten festgehalten?»
    Wagner nickte zufrieden. «So kann es gewesen sein.»
    «Wenn stimmt, was über ihn geredet wird, war er vielleicht in weiblicher Begleitung», überlegte Rosina. «Habt Ihr Euch die Brücke mal angesehen, Wagner?»
    «Natürlich. Ich gehe immer zuerst zum …»
    «Verzeiht, das war eine dumme Frage. Ich weiß am besten, wie gründlich Ihr seid. Lasst uns trotzdem mal überlegen: Eine Auseinandersetzung mit einem Sturz ins Fleet – ich denke, da hätte das Geländer Schaden nehmen müssen.»
    «Hat es nicht.» Wagner schüttelte entschieden den Kopf. «Ich habe auch daran gedacht und es untersucht, bis ganz unten, auf den Knien, ja, da ist kein Schaden zu sehen. Kein Bruch im Holz, kein noch so kleiner. Alles fest.»
    «Dann ist der Konditor entweder freiwillig übers Geländer geklettert und gesprungen», fuhr Rosina fort, «wer weiß, was für ein Dämon in seiner Seele saß und ihn trieb. Obwohl alles, was man über ihn hört, auf das Gegenteil deutet, nämlich dass er ein ungemein lebensfroher Mann war, der es bestens verstand, für sein eigenes Wohl zu sorgen. Oder», sie zögerte plötzlich, «ja, wie Magnus schon sagte: Jemand war bei ihm, und zwar jemand sehr st …»
    Sie verstummte und Wagner beendete ihren Satz: «Jemand sehr Starkes, genau. Zum Beispiel ein Akrobat?»
    «Ach, Wagner. Die Stadt ist doch voller starker Männer, auch starker Frauen. Und wenn einer betrunken ist, bedarf es nicht allzu großer Kraft, jemanden mit ein bisschen Schwung über ein Geländer zu heben. Dazu muss man kein Akrobat oder als Starker Mann mit einer Truppe Komödianten unterwegs sein.»
    «Das stimmt», sagte Wagner und warf Magnus einen dankbaren Blick zu, als der zur Weinkaraffe griff und das Glas des Weddemeisters neu füllte. Ein Schluck

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