Die Nacht des schwarzen Zaubers
die selbst auf das Licht nicht ansprachen, obgleich der Schein der Petroleumlampe sich in ihnen spiegelte. Nachdenklich betrachtete Tomamai den Jungen. Das Fieber hatte sein Gesicht gerötet, der Kopf glühte, die Atmung war flach und kam in Stößen.
»Wach auf!« sagte Tomamai. Seine Stimme war wieder menschlich, dunkel und warm. Er strich mit der Hand über Volkers Gesicht, und plötzlich belebten sich seine Augen. Der starre Glanz wich einem Erkennen, die Rückkehr ins Leben vollzog sich, als ob ein Vorhang sich teilte und den Blick freigab auf ein herrliches, bisher nur geträumtes Land.
Volker hob den Kopf. Tomamai stützte ihn mit einer Hand, in der anderen hielt er die geschnitzte Holzschüssel mit dem warmen Gebräu. »Mir geht es besser«, sagte Volker leise. »Viel besser. Muß ich das trinken?«
»Ja.«
»Wie schmeckt es?«
»Bitter.«
»Und es hilft?«
»Die Götter sagen es.«
»Welche Götter?«
»Du kennst sie nicht.«
»Es gibt nur einen Gott.«
»Das sagt ihr Weißen. Erzählt hat euch das ein Mann, und den betet ihr an als Gottes Sohn. Wer sagt, daß er recht hat? Ihr glaubt daran, ich glaube an meine Götter. Wer weiß die Wahrheit?« Er hielt Volkers Kopf hoch und setzte ihm die Schale an die blassen Lippen. »Trink jetzt!«
Gehorsam nahm Volker einen Schluck. Der Saft schmeckte schrecklich, säuerlich-salzig, und er roch nach heißem Urin. Krampfhaft schluckte er und preßte die Lippen zusammen, als Tomamai das Holzgefäß ein wenig kippte. Mit einem Ruck riß Volker den Kopf zurück.
»Nein!« keuchte er. »Nein! Das trinke ich nicht! Ich muß mich übergeben!«
»Dein ganzer Körper wird sich krümmen«, sagte Tomamai. Seine Stimme bekam einen einschläfernden, gleichmäßigen Klang. »Die Krankheit wird sich wehren, sie wird sich festkrallen in allen Winkeln, aber wir treiben sie hinaus, wir werden sie zerhacken, Stück um Stück.« Er zog Volkers Kopf wieder heran und zwang ihn, seinen Mund gegen den Rand der Holzschüssel zu pressen. »Trink!«
»Ich kann nicht …«, wimmerte der Junge.
»Wer leben will, muß kämpfen. Jeder Mensch hat seinen Feind. Du hast ihn in dir. Trink!«
Mit Würgen und geweiteten Augen trank Volker die halbe Schale leer. Dann krümmte er sich vor Ekel, fiel in die Kissen zurück, schlug beide Hände vor seinen Mund und drehte sich zur Wand.
»Schlaf weiter«, sagte Tomamai. Er stellte die Holzschale neben die Lampe, strich mit dem Schlangenstock noch einmal über Volkers Körper und ließ den Schlangenkopf einen Augenblick dort liegen, wo die Milz war. »Schlaf …«
Er wartete, bis der Atem des Jungen ruhig und gleichmäßig war, dann legte er seine Hand auf Volkers Stirn und verließ endlich langsam und würdevoll das Haus.
Draußen auf der Terrasse starrten ihm die Wartenden entgegen. Dr. Rank kratzte sich den Kopf. Soll man ihn ansprechen oder nicht? Der schwarze Junge, der mit Tomamai gekommen war, packte die Pfannen wieder in die Säcke.
»Sagen Sie was, Doktor!« flüsterte Baumann. Und als Rank schwieg, ließ er Marga los und kam Tomamai zwei Schritte entgegen.
Vorbei, dachte Rank verzweifelt. Alles vorbei! Ich kenne den alten Wunderknaben seit Jahrzehnten. Das verzeiht er nie. Er hat seinen Gott auf dem Kopf, und man stellt sich ihm in den Weg! So idiotisch kann auch nur ein Weißer sein, so anmaßend, so arrogant. Würde er es wagen, sich bei einer Prozession einem Priester in den Weg zu stellen, während dieser die Monstranz trägt? Ein Frevel wäre das … aber überall ist es erlaubt, wenn es sich nicht um Christentum handelt. Welch ein verdammtes Herrentum in Jesu Christo!
»Laß ihn gehen!« sagte Hansen laut. »Los, zu dem Jungen!«
Marga rannte an ihm vorbei ins Haus, Claudia folgte ihr. Der Junge duckte sich erschrocken, als Hansen über ihn hinwegsprang, um den Weg abzukürzen. Er kniete noch vor den erloschenen Feuern und raffte die nicht benutzten Wurzeln und Kräuter zusammen.
»Funken Sie den Hubschrauber aus Mahé herbei, Alex!« sagte Dr. Rank laut. »Und bleiben Sie mitsamt Ihrer Familie und Ihrem dusseligen Freund drüben. Unsere Insel hat an einem Idioten, und der bin ich, genug! Mehr verträgt sie nicht, um weiterhin glücklich zu sein.«
»Tomamai«, sagte Baumann langsam. Er stand vor dem Zauberer und blickte in zwei merkwürdig junge Augen. Auf dem Kopf wippte der geschnitzte Gott, umrahmt von den schillernden Federn des Kardinalsvogels. »Ich weiß, Sie sprechen englisch. Sagen Sie mir etwas über meinen
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