Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
an und setzte sich mit ihnen an den Tisch.
Er glättete vorsichtig die erste Rolle. Sie war in einer ihm unbekannten Sprache geschrieben. Einige Buchstaben kannte er, aber er sah sofort, dass es ihm nicht gelingen würde, dieses Dokument zu lesen.
Also entrollte er das zweite und das dritte Dokument.
Auf allen das gleiche.
Er wollte schon resignieren und überlegte, ob er jemanden finden würde, der ihm beim Entziffern der Schrift helfen könnte. Vielleicht musste er doch auf diesen Kerl warten und ihn zwingen, ihm vorzulesen. Danach würde er ihn töten können. Aber so viel Zeit hatte er sicher nicht. Wahrscheinlich kam es sogar darauf an, dass er das Geheimnis der Rollen erfuhr, bevor dieser Mann wiederkam. Vielleicht entschied sich der Kampf, der in seinem seltsamen Traum begonnen hatte, schon in diesem Moment an dem Ort, an dem dieser Mann jetzt war.
Er spürte ein vertrautes Kribbeln auf dem Rücken seiner rechten Hand.
Sein lieber Käfer wollte wieder in ihn hinein.
Das Tier krabbelte seinen Arm hoch, auf seine Schulter und über seinen Hals auf seinen Mund zu. Barnabas öffnete vorsichtig die Lippen einen Spalt weit. Der Käfer war wieder etwas gewachsen und hatte jetzt die Größe einer Kröte erreicht. Seine Füße berührten Barnabas Lippen und drückten sie weiter auseinander.
Barnabas öffnete den Mund ganz weit, bis er fast würgen musste.
Jetzt passte das Tier hinein.
Barnabas spürte, wie der Käfer sich seinen Rachen hinunter in seine Kehle drückte. Er schob sich ganz in seinen Mund, so, dass Barnabas begann , heftig durch die Nase zu atmen, weil er sonst erstickt wäre. Der vertraute, bittere Geschmack begann, sich in seinem Mund auszubreiten.
Der Käfer drückte sich durch die enge Öffnung seines Rachens in die Speiseröhre und Barnabas spürte ihn nicht mehr, bis er in seinem Magen landete.
Ein jubelndes, warmes Gefühl begann sich vom Magen aus in ihm auszubreiten.
Er blickte auf die Schriftrollen vor ihm und plötzlich begann er, den Sinn der ersten Worte zu verstehen.
Da stand:
"Im Namen des großen, fremden Lebens aus den Welten des Erhabenen, das über allen Werken steht."
Es war die Geschichte seines Meisters, die er lesen konnte. Tränen der Freude liefen seine Wangen hinunter, als er sie las.
***
Die nächsten Tage waren für Wessel ein einziger Alptraum. Schnell bekam er heraus, dass man Carda geholt hatte, nachdem Rüdiger, der Bruder des Oberhusers , ermordet in einer Kammer gefunden wurde und die Büttel auf ihre Nachfragen schnell erfahren hatten, dass Rüdiger in der Nacht vor dem Mord die Carda Manne auf den Hof geholt hatte.
Jetzt meinte man, in Carda die Anführerin der Hexensekte gefunden zu haben und in der ersten Nacht, der Nacht, in der sie ihn dazugeholt hatten, hatte der Scharfrichter in Anwesenheit der Richter auch schnell das Hexenmal , ein großer Fleck an der Innenseite ihres linken Oberschenkels in der Form einer Kröte, gefunden.
Damit hatte sich der Verdacht des Rates bestätigt und Carda wurde zur Vorsicht darauf hin untersucht, ob sich in ihrer Kleidung oder in den Haaren ein Amulett befinde, mit welchem sie die anwesenden Herren hätte verhexen können.
Dann zeigte ihr der Scharfrichter die Instrumente, Daumen- und Beinschrauben, Schmiedezangen, Wippe und spanische Stiefel. Aber Carda war auch angesichts der Werkzeuge nicht willig gewesen zu gestehen, was man ihr vorwarf.
Mit dem geheimnisvollen Tod der zwölf Männer hatte sie nichts zu tun.
Auf ihr beharrliches Leugnen hin hatte man ihr dann zur Probe die Daumenschrauben angelegt, und sie den Rest der Nacht alleingelassen, damit sie sich wieder zum Glauben bekehren und ihre Sünden gestehen würde.
***
Wessel war in dieser Nacht nach Hause getaumelt und wie betäubt ins Bett gefallen. Ihm fiel nicht einmal auf, dass seine Tür nur lose in den rostigen Angeln hing.
Die ganze Nacht hindurch hallten durch die Gassen der Stadt die Schreie von Frauen und Männern wieder, die man aus ihren Behausungen zerrte und zum Verhör ins Rathaus schleppte. Vereinzelt schlugen Flammen aus den Fensterhöhlen geräumter Häuser, Nachbarn bildeten Ketten, um mit Eimern voll Wasser der Flammen notdürftig Herr zu werden. Das Feuer durfte von den Häusern der gefaßten Ketzer nicht auf die ihren übergreifen. Soldaten des Rates hasteten in Gruppen durch die Stadt, mit langen Schwertern, Musketen und Hellebarden bewaffnet. Schreiber im Rathaus führten lange Listen mit Namen. Namen,
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