Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
ahnte, dass ihr nicht gefallen würde, was sie jetzt vom Professor hören würde.
Rosner fuhr fort: "Das wäre ja an sich noch nichts Schlimmes, so gut wie jede Religion behauptet von sich, dass sie einen besonders wirksamen Weg zur Wahrheit kennt. Aber im Falle der Gnostiker haben wir es mit einer Überzeugung zu tun, die sehr schnell gefährlich werden kann. Der Mensch als geistiges Wesen ist der gnostischen Lehre zufolge göttlichen Ursprungs, aber unsere gesamte Welt, unsere materielle Existenz, wurde von einem bösen Dämon geschaffen. Dieser materiellen Existenz zu entkommen gilt der Ehrgeiz der Gnostiker und ihr 'Gott', so glauben sie, schickt ihnen einen Abgesandten, der ihnen den Weg weist aus dem Gefängnis dieser Welt. Auf den Punkt gebracht ist es eine Lehre, die sehr schnell in der Überzeugung gipfeln kann, dass die alte, materielle Welt vernichtet werden muss, um den Übergang in die neue, geistige, Welt vollziehen zu können. In der ursprünglichen Bewegung der christlich-gnostischen Sekte ist das Instrument der Erlösung die Gnosis selbst, das Wissen. "
"Das hört sich doch nicht so schlecht an, oder?" fragte Elaine etwas unsicher. "Erlösung und Wissen wollen wir doch alle."
"Sicher, mein Fräulein, aber wie in jeder Bewegung, spalteten sich mit der Zeit radikale Elemente ab und verselbständigten sich, und die ganze Sache läuft dann aus dem Ruder, wenn es vorrangig nicht mehr um Erlösung durch Wissen, sondern nur noch um die Zerstörung der Welt geht, sozusagen darum, das Jüngste Gericht vorzuziehen, selbst darüber zu entscheiden, wer in die neue Lichtwelt hinein geboren wird und wer nicht."
Elaine lachte.
"Sie wollen doch nicht andeuten, dass es den Gnostikern um die Vernichtung der Welt geht?"
"Warum nicht?" fragte Rosner, "das haben schon andere versucht, und es heißt ja nicht, dass es ihnen gelingen wird. Aber es gab im Laufe der Geschichte verschiedene Bewegungen die aufgrund diese Glaubens großen Schaden anrichteten. Im Mittelalter waren es die sogenannten Erweckungsbewegungen die das Ende der Welt verkündeten und nicht vor Greueltaten an Nichtgläubigen zurückschreckten, in der neueren Zeit könnten mit einiger Berechtigung sowohl die kommunistischen wie die faschistischen Massenbewegungen mit ihrem Glauben an eine neue Weltordnung als gnostische Bewegungen angesehen werden. Es wäre natürlich vereinfacht, wollte man diese Bewegungen als teuflische Sekten brandmarken, aber ..."
"Um was für einen Abgesandten geht es denn bei diesen Gnostikern?" unterbrach Eric.
Bevor der Professor zu sehr ins Detail ging, wollte er zum Wesentlichen zurück.
"Ja ," Rosner schien nicht böse über die Ablenkung, "das ist das besondere an diesen Dokumenten. Was ich bisher erzählte, ist der Forschung zur Genüge bekannt, aber hier sehe ich zum ersten Mal ein Dokument, in dem die Geschichte des Erlösers erzählt wird. Eine wissenschaftliche Sensation, etwas völlig Einmaliges. Die Fakultät wird mir diese Dokumente aus den Händen reißen."
Er wurde ganz aufgeregt und schien für einen Moment seine Zuhörer zu vergessen. Aber nur für einen Moment, dann fuhr er mit einem um Verständnis heischenden Blick fort:
"Der Erlöser, der sogenannte Paraklet , ist eine Jesus-ähnliche Gestalt, allerdings mit anderen, dunklen Vorzeichen. Ebenso wie Jesus hat er einen Propheten, der ihn ankündigt und Jünger, die seine Lehre verbreiten. Sie wissen bestimmt, dass auch Jesus sagte, dass er gekommen sei, um das Schwert zu bringen. Nun, dieser gnostische Erlöser soll offensichtlich zu Ende bringen, was der christliche Jesus andeutete. Er ist eine Art Richter über die Lebenden und die Toten beim kommenden Totengericht. Seine Rolle im Geschehen besteht darin ..."
Rosner unterbrach sich und blickte Elaine an.
"Erinnern Sie sich an diese Karte, die Sie mir gezeigt haben?"
Elaine blickte Eric an. Was war jetzt? Der Professor machte plötzlich einen verwirrten Eindruck.
"Sicher." sagte Sie.
"Geben Sie sie mir ," sagte der Professor.
Die Hand, die er ihr entgegenstreckte, zitterte leicht.
Elaine kramte in ihrer Tasche und zog die mittlerweile verknitterte Karte heraus.
Rosner nahm die Karte und blickte sie aufmerksam an.
Es wurde still im Raum, nur das Knistern des Kaminfeuers war zu hören und manchmal das Zirpen einer verspäteten Grille.
"Jetzt fügt es sich zusammen." murmelte der Professor plötzlich.
"Was fügt sich zusammen?" fragte Eric ungeduldig. Er verstand nur die Hälfte, aber das
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