Die Nacht des Zorns - Roman
hatte. Damit man die verbrannten Strähnen, die Lücken nicht sah, damit die Bullen ihn nicht verdächtigten. Aber Christophe und nicht Christian hatte den Vater nach Hause gefahren. Und beider Anzüge waren makellos sauber und nicht in die Reinigung gegeben worden.
Adamsberg konzentrierte sich auf die Überwachung. Der Mond beleuchtete hell die Felder und den Waldsaum, selbst wenn, wie Émeri gemeint hatte, von Westen her Wolken aufzogen. Es schien, als ob nach vierzehn Tagen Hitze ohne einen Tropfen Regen die Normannen anfingen, sich über diese Anomalie zu beunruhigen. Die Sache mit den Wolken im Westen wurde allmählich zur fixen Idee.
Um vier Uhr morgens brannte immer noch Licht in den beiden Zimmern im Erdgeschoss, in der Küche und der Toilette. Dass Mortembot wachte, war nicht verwunderlich, aber die schlaflosen Menschen, die Adamsberg kannte, löschten doch die meisten Lichter, außer in dem Raum, in den sie sich zurückgezogen hatten. Es sei denn, Mortembot hatte, gelähmt vor Angst, nicht gewagt, das Haus im Dunkeln zu lassen. Um fünf Uhr ging er zu Veyrenc hinüber.
»Findest du das normal?«, fragte er ihn.
»Nein.«
»Kontrollieren wir?«
»Ja.«
Adamsberg klopfte in der vereinbarten Weise an die Haustür. Vier Mal lang, zwei Mal kurz, drei Mal lang. Erwiederholte den Code mehrmals, erhielt jedoch keine Antwort.
»Mach auf«, sagte er zu Veyrenc, »und halt deine Waffe bereit. Bleib draußen, solange ich nach dem Mann suche.«
Die entsicherte Waffe in der Hand, lief Adamsberg, an die Wände gedrückt, durch die leeren Zimmer. Kein aufgeschlagenes Buch, kein eingeschalteter Fernseher, kein Mortembot. In der Küche die Überreste einer kalten Mahlzeit, die er aufzuessen nicht die Kraft gehabt hatte. Im Bad ein paar Kleidungsstücke, jene, die er gestern auf dem Kommissariat getragen hatte. Mortembot konnte nur durch das Dachfenster entkommen sein, er hatte gewartet, bis einer der beiden Wachposten um die Ecke bog, und war dann auf die Erde gesprungen. Er hatte ihnen offenbar nicht getraut, hatte es vorgezogen, zu verschwinden. Adamsberg öffnete die Toilettentür, und der große Körper fiel ihm rücklings vor die Füße, die Hosen noch heruntergelassen. Das Blut hatte den Fußboden überschwemmt, und in Mortembots Hals steckte ein langes, dickes Projektil aus Stahl. Der Bolzen einer Armbrust, wenn Adamsberg sich nicht irrte. Mortembot war seit mindestens drei Stunden tot. Die Glasscheibe der Fensterluke lag zerbrochen auf dem Boden.
Der Kommissar rief Veyrenc herein.
»Genau in die Kehle getroffen, während er pinkelte. Und das in dieser Höhe«, sagte Adamsberg und stellte sich vor das Becken, mit dem Gesicht zu dem kleinen Fenster. »Das Projektil ist geradewegs in seinen Hals hinein.«
»Scheiße, Jean-Baptiste, die Luke ist durch eine Eisenstange geteilt. Zu beiden Seiten sind nicht mehr als zwanzig Zentimeter Raum. Was ist das für ein Geschoss? Und ein Bogenschütze vorm Fenster? Den hätte Estalère doch gesehen, verdammt!«
»Das ist ein Bolzen, ein ziemlich gewaltiger Armbrustbolzen.«
Veyrenc pfiff durch die Zähne, vor Wut oder auch vor Überraschung.
»Weiß Gott eine mittelalterliche Waffe.«
»Nicht ganz so, wie’s scheint, Louis. Nach dem, was aus der Wunde herausragt, wette ich auf einen Jagdbolzen. Sehr modern. Leicht, stabil und schussgenau, versehen mit rasierklingenscharfen Flügeln, die starke Blutungen hervorrufen. Der sichere Tod.«
»Vorausgesetzt, man hat die Möglichkeit zu zielen«, sagte Veyrenc, während er um den Körper herumging und sein Gesicht zwischen die Eisenstange und die Seitenwand der Luke legte. »Sieh dir das an. Es passt gerade so mein Arm hindurch. Mit etwas Glück musste der Schütze sich in weniger als fünf Metern Entfernung postieren, um einen solchen Schuss hinzukriegen, ohne dass er gegen die Stange prallte. Estalère hätte ihn gesehen. Das Licht der Straßenlaterne reicht bis dahin.«
»Nicht mit Glück, Louis. Mit einer Scheibenarmbrust, einer Compound zum Beispiel. Wenn die außerdem mit Nachtvisier ausgestattet war, konnte der Mann aus vierzig Metern sein Ziel nicht verfehlen. Selbst aus fünfzig nicht, wenn er gut war. Und wer eine derartige Waffe besitzt, ist mit Sicherheit gut. Wie auch immer, es bedeutet, dass der Mörder im Wald stand, genau am Waldrand. Vollkommen lautloser Schuss, er konnte ganz gemächlich verschwinden, bevor die Bullen den Schaden überhaupt bemerkten.«
»Du kennst dich aus mit Armbrüsten?«
»Ich
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