Die Nacht des Zorns - Roman
Danglard, aber das Schloss?«
»Das bin ich gerade dabei, Ihnen zu erklären. Der Sohn dieses Valleray, Henri, hat es nach dem Hundertjährigen Krieg, Ende des 15. Jahrhunderts, erbauen lassen. Der gesamte linke Flügel, den Sie hier sehen, sowie der Westturm datieren aus dieser Zeit. Der ganze Mitteltrakt des Schlosses dagegen wurde im 17. Jahrhundert umgebaut, und die großen, niedrigen Portale sind Rekonstruktionen aus dem 18. Jahrhundert.«
»Vielleicht sollten wir mal klingeln, Danglard?«
»Da heulen mindestens drei oder vier Hunde. Wir klingeln und warten einen Geleitschutz ab. Ich verstehe nicht, was die Leute immer mit ihren Hunden haben.«
»Und ihrem Zucker«, sagte Adamsberg und zog an der Kette.
Rémy François de Valleray, Graf von Ordebec, erwartete sie ganz unzeremoniell in der Bibliothek, er trug immer noch seine blaue Leinenjacke, in der er wie ein Landarbeiter aussah. Aber Danglard verzeichnete, dass jedes der gravierten Gläser, die schon auf dem Tisch standen, locker eines seiner Monatsgehälter kostete. Und dass der Tropfen, der ihnen daraus serviert werden würde, allein an seiner Farbe gemessen die Reise von Paris hierher wert war. Kein Vergleich mit dem Portwein, den sie bei den Vendermots aus Mostrichgläsern getrunken hatten und der einem die Gedärme wegbrannte. Die Bibliothek musste an die tausend Bände umfassen, und die Wände waren in ihrer ganzen Höhe mit etwa vierzig Bildern behängt, die Commandant Danglard in helle Erregung versetzten. Kurz, die in einem noch nicht verarmten gräflichen Wohnsitz zu erwartende Ausstattung, hätte nicht ein unbeschreibliches Chaos dem Raum alles Erhabene genommen. Gummistiefel, Säcke mit Saatgut, Medikamente, Plastiktüten, Schrauben, heruntergebrannte Kerzen, Kisten mit Nägeln, Papierkram, all das lag über den Boden verstreut, auf Tischen und in Regalen.
»Meine Herren«, sagte der Graf, indem er seinen Stock abstellte und ihnen die Hand reichte, »ich danke Ihnen, dass Sie meinem Ruf gefolgt sind.«
Graf war er, ohne jeden Zweifel – im Tonfall, im Gebieterischen seiner Gesten, im Blick leicht von oben herab, ja selbst in seinem natürlichen Recht, sich in Bauernjoppe zu zeigen. Während man gleichzeitig auf Anhieb den normannischen Landadligen in ihm erkannte, am geröteten Teint,den ein wenig schwarzgeränderten Nägeln, dem insgeheim amüsierten Blick, den er auf sich selbst warf. Mit einer Hand füllte er die Gläser, während er sich mit der anderen auf seinen Stock stützte, und lud mit einer Armbewegung zum Sitzen ein.
»Ich hoffe, Sie werden diesen Calvados zu schätzen wissen, es ist derselbe, den ich auch Léo gebe. Komm rein, Denis. Ich darf Ihnen meinen Sohn vorstellen. Denis, die Herren sind von der Brigade criminelle aus Paris.«
»Ich ahnte nicht, dass ich dich stören würde«, sagte der Mann und grüßte sie achtlos und ohne ein Lächeln.
Weiße Finger mit gepflegten Nägeln, stämmiger Körper, wenn auch leicht verfettet, nach hinten gestrichenes graues Haar.
Der berühmte dreckige kleine Toidi also, wie die Vendermots meinten, der schuld daran war, dass der junge Hippolyte sein Refugium im Schloss vorzeitig verlassen hatte. Und in der Tat, so fand Adamsberg, der Mann sah echt nach einem Idioten aus: Hängebacken, schmale Lippen, verschlagener, distanzierter Blick oder einer, der zumindest eine Distanz deutlich zu machen suchte. Mehr aus Höflichkeit denn aus dem Wunsch, zu bleiben, goss er sich ein Glas ein. Seine ganze Haltung besagte, dass die Gäste ihn nicht interessierten, und selbst sein Vater kaum.
»Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um dir zu sagen, dass der Wagen von Maryse morgen aus der Reparatur kommt. Man sollte Georges bitten, ihn entgegenzunehmen, ich werde den ganzen Tag im Verkaufssalon sein.«
»Hast du Georges nicht gefunden?«
»Nein, der Kerl wird wohl stockbetrunken in den Stallungen eingeschlafen sein, und ich werde ihn da nicht unter den Pferdebäuchen wachrütteln.«
»Gut, ich kümmere mich darum.«
»Danke«, sagte Denis und stellte sein Glas hin.
»Ich will dich nicht vertreiben.«
»Aber ich gehe. Ich überlasse dich deinen Gästen.«
Der Graf schnitt eine kleine Grimasse, als er die Tür ins Schloss fallen hörte.
»Tut mir leid, meine Herren«, sagte er. »Mein Verhältnis zu meinem Stiefsohn ist nicht das allerbeste, zumal er weiß, worüber ich mit Ihnen reden will, und das gefällt ihm nicht. Es geht um Léo.«
»Ich mag Léo sehr«, sagte Adamsberg, ohne seine
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