Die Nacht des Zorns - Roman
einsitzt. Gleich morgen früh rufe ich Varnier an, wir können davon ausgehen, dass wir den Mann morgen Abend hier haben werden.«
Adamsberg sah zu Danglard hinüber, der zustimmend nickte. Der Kommissar verübelte es sich, wie spät er darauf gekommen war. Schon als Dr. Merlan so respektlos von Léo als einer defekten Maschine gesprochen hatte, hätte er an den Arzt im Gefängnis denken müssen, der ja selbst diesen Begriff verwendete. Wahrscheinlich hatte er sogar an ihn gedacht, doch ohne sich dessen bewusst zu sein. Das war er sich noch nicht mal, als auch Lina dieses Wort »Maschine« gebraucht hatte. Immerhin hatte er es da schon auf seine Serviette geschrieben. Der Graf reichte ihm einen Notizblock, und er schrieb alle nötigen Angaben auf.
»Es gibt noch ein weiteres Problem«, sagte er, als er ihmden Block zurückgab. »Wenn ich hochgehe, werden sie unseren Schützling nicht mehr rauslassen. Aber wenn der Doktor Léo heilen soll, braucht er mehrere Sitzungen dafür. Und ich kann in vier Tagen hochgehen.«
»Ich weiß Bescheid.«
»Über alles?«
»Über vieles, das Sie betrifft. Ich sorge mich um Léo und die Vendermots. Da tauchen Sie hier auf, ich hole Erkundigungen ein. Ich weiß, dass man Sie hochgehen lassen wird, wenn Sie den Mörder von Antoine Clermont-Brasseur nicht wieder fassen, der aus Ihrem Kommissariat entflohen ist, schlimmer noch, aus Ihrem eigenen Büro, sozusagen unter Ihren Augen.«
»Exakt.«
»Sie werden übrigens verdächtigt, Kommissar. Wussten Sie das?«
»Nein.«
»Ja, seien Sie also besser auf der Hut. Einige Herren im Ministerium haben große Lust, ein paar Nachforschungen über Sie anzustellen. Sie sind nicht allzu weit von dem Gedanken entfernt, dass Sie den Jungen haben entkommen lassen.«
»Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Gewiss«, sagte Valleray lächelnd. »Aber der Typ bleibt unauffindbar. Und derweil schnüffeln Sie im Umfeld der Familie Clermont herum.«
»Der Zugang ist rigoros versperrt, Valleray. Ich schnüffle nicht.«
»Immerhin haben Sie die beiden Söhne von Antoine, Christian und Christophe, befragen wollen.«
»Was man mir verwehrt hat. Dabei musste ich es belassen.«
»Und das schmeckt Ihnen nicht.«
Der Graf legte sein restliches Zuckerstückchen auf eine Untertasse, leckte sich die Finger und wischte sie an seiner blauen Jacke ab.
»Was hätten Sie denn gern gewusst? Über die Clermonts?«
»Wie der Abend vor dem Brand verlaufen ist, wenigstens das. In welcher Stimmung die beiden Söhne waren.«
»Normal, ja sogar recht fröhlich, sofern Christophe überhaupt fröhlich sein kann. Der Champagner floss in Strömen, und es war einer von der edelsten Sorte.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich dabei war.«
Der Graf nahm sich ein neues Stück Zucker, das er mit Andacht in sein Glas tauchte.
»Es gibt in dieser Welt einen kleinen Atomkern, in dem von jeher die Unternehmer die Aristokraten suchen, und umgekehrt. Wobei der Austausch zwischen ihnen, gegebenenfalls auch in Form ehelicher Bündnisse, das Zündpotential beider Seiten erhöht. Ich gehöre beiden Kreisen an, dem Adel und der Industrie.«
»Ja, ich weiß, Sie haben einst Ihre Stahlhütten an Antoine Clermont verkauft.«
»Hat unser Freund Émeri Ihnen das erzählt?«
»Ja.«
»Antoine war ein echter Raubvogel, der in großen Höhen kreiste, aber den man in mancher Hinsicht auch bewundern konnte. Gleiches kann man von seinen Söhnen nicht sagen. Doch wenn Sie dem Gedanken nachjagen, dass einer von beiden den Vater abgefackelt hat, sind Sie auf dem Holzweg.«
»Antoine hatte die Absicht, seine Haushälterin zu heiraten.«
»Rose, jaja«, bestätigte der Graf, während er an seinem Zuckerstückchen lutschte. »Ich glaube, er machte sich wohl eher ein Vergnügen daraus, seine Familie zu provozieren, und ich habe ihn gewarnt. Allein schon, dass er in den Augen seiner Söhne die brennende Hoffnung auf sein baldiges Ableben las, machte ihn rasend. In letzter Zeit war er häufigniedergeschlagen, leicht gekränkt und neigte zu heftigen Stimmungsschwankungen.«
»Wer von den Söhnen wollte ihn unter Vormundschaft stellen?«
»Vor allem Christian. Aber er hatte keinerlei Chance. Antoine war geistig voll da, und das war mühelos zu beweisen.«
»Und siehe da, zur rechten Zeit setzt ein junger Kerl den Mercedes in Brand, genau in dem Augenblick, als Antoine allein im Wagen wartet.«
»Ich verstehe, was Sie daran stört. Wollen Sie wissen, warum Antoine allein war?«
»Sehr gern. Und
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