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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zum Arzt, von Merlan lassen wir uns nie behandeln.«
    »Manche Leute«, fuhr Martin fort, »lassen sich ihren sechsten Finger abnehmen, aber bedauern es hinterher ein Leben lang. Sie erzählen, dass sie mit ihrem Finger ihre Identität verloren haben. Hippo sagt, ihm macht es nichts aus. In Marseille gibt es ein Mädchen, das seine Finger aus der Mülltonne des Krankenhauses wieder rausgefischt und sie immer in einem Blumentopf aufbewahrt hat. Können Sie sich das vorstellen? Wir denken, dass Maman das auch gemacht hat, aber sie will es nicht zugeben.«
    »Idiot«, sagte die Mutter nur.
    Martin trocknete sich die Hände an einem Lappen und wandte sich mit gewinnendem Lächeln an Hippolyte.
    »Erzähl auch, was danach kam«, sagte er.
    »Bitte«, bohrte Antonin, »erzähl.«
    »Das ist vielleicht nicht nötig«, meinte Lina vorsichtig.
    »Grebsmada driw se tchielleiv thcin hcilrednos nellafeg. Immerhin ist er Bulle.«
    »Er sagt, es wird Ihnen vielleicht nicht sonderlich gefallen«, übersetzte Lina.
    »Grebsmada, ist das mein Name?«
    »Ja.«
    »Das erinnert mich an das Serbische. Ich glaube, das klang so ähnlich.«
    »Hippo hatte einen Hund«, sagte Antonin. »Er gehörte ihm allein, man sah sie immer zusammen, ich war richtig eifersüchtig. Er hieß Suif.«
    »Er hatte das Tier geradezu perfekt abgerichtet.«
    »Erzähl, Hippo.«
    »Zwei Monate nachdem mein Vater mir die Finger abgehauen hatte, hat er mich in die Zimmerecke geschickt, ich musste mich zur Strafe auf den Boden setzen. Es war an dem Abend, an dem er Martin gezwungen hatte, alles aufzuessen, was er in das Tischbein gestopft hatte, und ich hatte ihn verteidigt. Ich weiß, Maman, die Kugel hatte sich wieder mal gedreht.«
    »Ja, mein Junge, sie hatte sich gedreht.«
    »Mehrmals um sich selbst, Maman.«
    »Hippo hockte da in der Ecke«, fuhr Lina fort, »den Kopf an Suif gedrückt. Dann hat er dem Hund was ins Ohr gemurmelt, worauf Suif wie eine Furie aufgesprungen ist. Unserem Vater an die Gurgel.«
    »Ich wollte, dass er ihn tötet«, erklärte Hippo mit aller Ruhe. »Ich hatte ihm den Befehl dazu gegeben. Aber Lina machte mir ein Zeichen, ich sollte aufhören, und so habe ich Suif befohlen, ihn loszulassen. Und alles aufzufressen, was noch in dem Tischbein war.«
    »Suif hat das überhaupt nichts ausgemacht«, ergänzte Antonin, »aber Martin hat vier Tage lang gekotzt.«
    »Später dann«, sagte Hippolyte etwas düsterer, »als unser Vater mit wieder zugenähter Kehle aus dem Krankenhaus kam, hat er sein Gewehr genommen und Suif erschossen, während wir in der Schule waren. Er hat den Kadaver direkt vor die Haustür gelegt, damit wir ihn bei unserer Rückkehr schon von weitem sahen. Da aber ist der Graf gekommen und hat mich mitgenommen. Er fand, dass ich hier nicht mehr sicher wäre, und hat mich einige Wochen langauf dem Schloss behalten. Er hat mir einen Welpen gekauft. Aber sein Sohn und ich, wir haben uns nicht verstanden.«
    »Sein Sohn ist eine dumme Sau«, meinte Martin.
    »Nie regikcerd renielk Toidi«, bestätigte Hippolyte.
    Adamsberg sah fragend zu Lina hin.
    »Ein dreckiger kleiner Idiot«, übersetzte sie etwas zögernd.
    »Ein
Toidi,
das passt irgendwie«, meinte Danglard mit einem Ausdruck intellektueller Befriedigung.
    »Wegen dieses Toidi bin ich nach Hause zurückgekehrt, und meine Mutter hat mich unter Linas Bett versteckt. Ich lebte inkognito hier, und Maman wusste schon nicht mehr, wie sie es anstellen sollte. Aber Hellequin hat die Lösung gefunden, er hat den Alten in zwei Stücke gehauen. Und kurz danach hatte Lina das erste Mal die Vision.«
    »Des Wütenden Heeres«, sagte Danglard.
    »Ja.«
    »Was ergibt das, verkehrt herum?«
    Hippolyte schüttelte energisch den Kopf.
    »Nein, den Namen des Heeres darf man nicht rückwärts sprechen.«
    »Ich verstehe«, sagte Adamsberg. »Ihr Vater ist wie lange nach Ihrer Rückkehr aus dem Schloss zu Tode gekommen?«
    »Dreizehn Tage danach.«
    »Durch einen Axthieb in den Schädel.«
    »Und ins Brustbein«, präzisierte Hippolyte fröhlich.
    »Die Bestie war tot«, bestätigte Martin.
    »Es war diese Kugel«, murmelte die Mutter.
    »Letztendlich«, fasste Hippolyte zusammen, »hätte Lina mich nie bitten sollen, Suif zurückzupfeifen. Alles wäre schon an dem Abend erledigt gewesen.«
    »Du kannst ihr deshalb nicht böse sein«, sagte Antonin, vorsichtig die Schultern zuckend. »Lina ist eben viel zu nett, das ist alles.«
    »Ja, wir sind eben nett«, bestätigte Hippolyte mit einem

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