Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
einem warmherzigen Lächeln.
Sie hat den Satz kaum vollendet, da ist uns schon bewusst, wie unerwartet ihre Worte sind: voller Zuneigung und Wehmut und Sehnsucht nach Zärtlichkeit.
»Du bist bestimmt froh darüber, dass er dich aufheitert und dir so schöne Geschenke macht«, ergänzt Miss Winters eilig und mit fester Stimme. Die leise Sehnsucht ist daraus verschwunden, und sie senkt ihren Blick wieder auf das Buch.
Ich nicke unbestimmt.
»Die Idee mit dem Spülmittel ist gut, aber du solltest sie dir für den Sommer aufheben. Und für den Fall, dass Sonny zu dir nach Hause kommt. Ich könnte es leider nicht gutheißen, wenn du diese Taktik in der Schule anwendest.«
Ich zucke mit den Schultern. »Mrs Henderson kann auch nicht mehr tun, als mir eine Rüge zu geben, oder? Ist ja nur Seife.«
Miss Winters lächelt. »Ich kann zu diesem Thema nur sagen«, erklärt sie entschieden, »dass ein wenig Seife – nach genauer Abwägung und in Kenntnis männlicher Jugendlicher – Sonny Rawlins sicher mehr als guttun würde.«
Ich grinse.
Phee, Lynne und ich schlendern untergehakt durch das Laub zwischen dem Naturwissenschaftstrakt und den mobilen Unterrichtsbaracken. Wir haben am Wochenende Tausende Folgen diverser Soaps geguckt, jedenfalls unserem Gefühl nach, und Lynne und Phee streiten immer noch darüber, wer der süßeste Schauspieler ist. Wenn ich ehrlich bin, habe ich keinen mehr richtig vor Augen, aber egal – ich stimme Lynne und Phee abwechselnd zu, damit sie sich weiter über die Top Five streiten können. Mir ist nur wichtig, dass wir endlich wieder etwas gemeinsam erlebt haben, über das wir reden können.
Wir wollen gerade um die Ecke der Sporthalle biegen, da werden wir ruckartig von Lynne gebremst. Sie hat Jenny entdeckt, die mit Sonny Rawlins und Fred James abhängt. Alle drei rauchen.
Bevor ich die beiden zum Umkehren bewegen kann, marschiert Phee auf die Gruppe zu. »Du wolltest doch aufhören, Jenny. Wieso lässt du dich von diesen beiden Idioten wieder zum Qualmen verführen?«
»Hey, sie schnorrt die Zigaretten«, erwidert Fred. »Vielleicht raucht sie einfach gern.«
»Was weiß diese blöde Tusse denn schon? Sie hat doch noch nie eine probiert«, höhnt Sonny. »Na los, nimm eine, wenn du dich traust.«
»Warum sollte ich etwas probieren, das Krebs verursacht?«, fragt Phee. »Komm, Jenny …«
»Bist du wirklich so bescheuert zu glauben, dass du an einem Zug krepierst?«, höhnt Fred.
»Die kleine, zarte Evie würde sicher gleich tot umfallen«, sagt Sonny und schnaubt verächtlich. »Armes Ding.«
»Na gut«, sage ich. »Gib mir eine.«
»Lass den Quatsch, Evie«, sagt Phee und zerrt an meinem Arm. »Willst du dich wirklich von ihm zu diesem Blödsinn überreden lassen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Eine schadet nicht, und danach kann ich mich über ihn lustig machen, sooft ich will.« Fiona begann bald nach der Rückkehr zu ihren Eltern täglich eine Schachtel zu rauchen, genau wie ihre Mutter. Einmal klaute ich eine Zigarette. Das geschah an einem jener Tage, als Fiona und ich nicht mit Weinen aufhören konnten und meine Hände ständig zitterten. Nicht, dass die Zigarette mir damals geholfen hätte, aber ich schätze, dass ich jetzt daran ziehen kann, ohne dass mir schlecht wird, vielleicht sogar ohne Hustenreiz, und dann würde Sonny Rawlins ganz schön blöd gucken.
Jenny tritt von einem Fuß auf den anderen, als wäre ihr unwohl, zieht ein letztes Mal, tritt die Kippe aus und murmelt vor sich hin. Dann rennt sie weg.
Phee starrt erst mich an, dann Lynne. »Du bist ja wirklich eine große Hilfe, Lynne.«
Lynne breitet entschuldigend die Arme aus. »Ich würde gern sehen, wie Evie es diesem kleinen Stinker zeigt. Du kannst mich gern verpfeifen.«
»Und?«, sage ich und ziehe eine Augenbraue hoch, während ich die Hand ausstrecke.
Sonny Rawlins glotzt mich an, und Fred kramt in der Tasche nach der Schachtel, hält sie mir widerstrebend hin.
»Ja, gib mir auch eine«, sagt Lynne entschlossen.
»Unfassbar«, sagt Fred. »Warum nimmst du nicht gleich die ganze Schachtel?«
Sonny Rawlins holt ein Feuerzeug hervor, hält es aber so, dass die Flamme nicht die Zigarette entzündet, sondern meinen Daumen verbrennt.
Ich reiße die Hand weg, lasse die Zigarette fallen.
»Mann, du bist vielleicht ein Arsch«, sagt Lynne und entreißt ihm das Feuerzeug. Phee gibt ihm einen kräftigen Stoß gegen die Schulter, und er taumelt einen Schritt zurück.
Er springt sofort wieder
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