Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
in die Augen traten, und sie beeilten sich zu sagen, dass sie selbstverständlich nicht beleidigt wären, wenn ich nichts mit diesem Trauma zu tun haben wolle. Ich beließ es bei diesem Missverständnis. Aber ich machte mit. Keine Frage. Denn ich wollte ja auch so sehr geliebt werden.
Ich hätte damals fast geweint, weil ich, nachdem sie mich gefragt hatten, ob ich »mitmachen« wolle, begriff, dass sie mich wirklich liebten – und daraufhin so glücklich war, dass es wehtat. Glücklich ist vielleicht nicht das passende Wort, und »froh« trifft es auch nicht. Ich war eher erleichtert, obwohl mir damals noch nicht bewusst war, dass es etwas in mir gab, das der Erleichterung bedurfte . Dieses Etwas war nicht etwa die Angst, dass Amy und Paul mich nie lieben würden – das hatte ich nicht erwartet, und ich hätte auch kein Problem damit gehabt, wenn sie dieses Gefühl nicht entwickelt hätten. Nein, Liebe wäre nicht nötig gewesen, weil ich von Anfang an wusste, dass sie freundliche, aufrichtig nette, anständige Menschen waren, die mir nichts Böses antun, sondern sich ganz im Gegenteil darum bemühen würden, mich gut zu behandeln. Und das taten sie von Beginn an: Sie waren auf unaufdringliche Art herzlich und fürsorglich, und mehr hätte es nicht gebraucht. Aber dann stand der Todestag bevor, und … ich fragte mich immer wieder, ob sie mich nicht doch liebten, weil sie so viel netter zu mir waren, als ich je erwartet hatte; aber ich glaubte, mir dessen nie ganz sicher sein zu können – und dann hatte ich auf einmal die Gewissheit. Und machte natürlich mit. Und ich mache natürlich immer noch mit.
Wenn der Todestag auf einen Schultag fällt, bleibe ich zu Hause. So auch heute. Phee und Lynne wollen jedes Jahr wieder, dass ich ihnen davon erzähle. Ich verschweige ihnen jedoch, dass Amy mit Adam spricht, und ich schildere ihnen nicht, wie verloren sie dabei aussieht. Ich verschweige, dass Amy zu Hause jedes Mal als Erstes die Trittleiter holt oder in die Küche verschwindet und kocht oder die Vorhänge zum Waschen abnimmt oder die Gartenmöbel mit Schmirgelpapier entrostet. In diesem Jahr holt sie die Trittleiter.
Ich werfe Paul einen besorgten Blick zu.
Er zuckt müde mit den Schultern, saugt die Lippen ein. »Ich koche einen Tee, mein Liebes«, sagt er und bleibt stehen, um mir, ziemlich ungelenk, einen Kuss auf die Stirn zu drücken. »Kannst du die Leiter festhalten?«
Das tue ich. Amy schaut konzentriert, fast besessen drein. Sie steht im Wohnzimmer auf der Trittleiter und fummelt am Rauchmelder herum. Sie drückt etwas hinein, und der Melder heult auf. Ich halte mir die Ohren zu, setze einen Fuß auf die Querstange der Trittleiter, um sie zu stützen. Dann verstummt der Lärm, und Amy starrt den Melder so zornig an, als wollte sie ihn von der Decke reißen.
»Alles in Ordnung?«, wage ich zu fragen.
»Weiß nicht«, antwortet Amy knapp und tonlos. »Ich glaube, er funktioniert, aber ich weiß nicht mehr, wann ich die Batterie zuletzt ausgetauscht habe. Ich bilde mir ein, ein Piepen gehört zu haben, als wir zurückkamen.«
»Ich glaube, du irrst dich. Er hat erst aufgeheult, als du das Dingsda reingedrückt hast.«
»Nein, nicht das Heulen. Er piept in Abständen leise – alle paar Minuten –, wenn die Batterie schlappmacht. Dieses Piepen meine ich.«
»Vielleicht war es der andere Melder, oben, neben dem Schrank?«
Amy knallt die Haube auf den Rauchmelder, und ich springe beiseite, als sie die Trittleiter fast gewaltsam zusammenklappt und die Treppe hinaufstapft. Dieser Melder funktioniert auch. Als Nächstes gehen wir in die Küche.
Sagt das nicht alles? Im Haus von Fionas Eltern gab es einen einzigen Rauchmelder. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er jemals überprüft wurde. Hier gibt es drei, und am Jahrestag des schrecklichsten Ereignisses ihres Lebens prüft Amy sie alle.
Der Melder in der Küche ist auch funktionstüchtig. Doch als Amy danach die Trittleiter zusammenklappen will, gehorcht diese nicht. Metall schrammt kreischend über Metall und Fußbodenfliesen.
»Amy«, sagt Paul und streckt vorsichtig einen Arm nach ihr aus. »Amy, Liebling, lass mich das machen.«
Amy überhört ihn und versucht es noch gewaltsamer. »Wieso finde ich nicht heraus, welcher es ist? Einer funktioniert nicht. Einer dieser bescheuerten, dämlichen Rauchmelder …«
»Amy …«
»Sei still, Paul! Ein Rauchmelder funktioniert nicht. Und das ist wichtig. Sie sollen uns
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