Die Nacht Hat Viele Augen -1-
innerlich zusammen, wenn er daran dachte, wie naiv er gewesen war. Die ganze Welt war ihm um die Ohren geflogen, und als er sich die Überreste ansah, war ihm klar geworden, dass er keineswegs zu den Guten gehörte, wie Barbara es immer noch glaubte. Vielleicht hatte er niemals zu ihnen gehört. Vielleicht war er schon immer ein Stück Scheiße gewesen. Victors Geschöpf, mit dem Gesicht voran im Dreck.
Es hatte lange Phasen gegeben, manchmal Jahre, in denen Victor sich nicht gemeldet hatte. Manchmal hatte Riggs dann schon wieder begonnen, sich selbst als einen ganz normalen Menschen zu betrachten. Aber irgendwann war der unvermeidliche Anruf doch gekommen. Sollte Victor Lazar jemals Schwierigkeiten mit dem Gesetz bekommen, würden seine Familie und die örtlichen Medien diese Videos bekommen. Einzelheiten über bestimmte Zahlungen auf Auslandskonten würden veröffentlicht und die Umstände von Peter Lazars Tod neu aufgerollt werden. Dasselbe würde passieren, sollte Victor eines unnatürlichen Todes sterben. Wenn Riggs noch ein einigermaßen normales Leben führen wollte, egal, wie sehr der Schein trog, dann musste Victor gesund bleiben und zufrieden sein. Cahill und McCloud hatten absolut eigenmächtig gehandelt. Diese gottverdammten Idioten. Beinah hätten sie alles ruiniert.
Sein Blick fiel auf den kleinen Monitor, der auf dem Beifahrersitz lag. Wenn er das kleine Miststück nur gleich mit ihrem Vater zusammen ertränkt hätte. Sie hatte ihn heute gesehen, und falls sie ihn noch nicht erkannt hatte, würde sie es bald tun. Diese strahlenden Augen hatten gesehen, wie er sich von einem Mann zu einem Kriecher entwickelt hatte. Er musste dafür sorgen, dass sich diese Augen schlossen. Für immer.
Er sah das Schild und riss den Wagen herum. Eine Raststätte. Kurz darauf stolperte er in den dunklen Schankraum und bestellte sich einen Bourbon und ein Glas Milch. Das war alles, was er sich in seinem augenblicklichen Zustand erlaubte. Nach einem Glas konnte er noch fahren, wenn der Schmerz in seinem Magen ihn nicht ohnmächtig werden ließ. Er nahm eine Handvoll Säureblocker und spülte sie mit der Milch hinunter – ein Trick, der vor ungefähr acht Monaten seine Wirkung eingebüßt hatte, aber aus Gewohnheit behielt er ihn bei. Er dachte darüber nach, wie es wohl wäre, einfach das Bewusstsein zu verlieren und gegen einen Baum zu fahren. Es kam ihm gar nicht so schrecklich vor. Nur das Splittern von Glas, das Quietschen von verbogenem Metall und dann … Dunkelheit. Und nichts mehr.
Er legte Geld auf die Bar und taumelte nach draußen. Die Pfützen auf dem Parkplatz kräuselten sich im kalten Wind. Er stieg in den Taurus und saß mit geschlossenen Augen da, während er eine Hand auf seinen zerfressenen Magen drückte.
Seine Gedanken schossen herum wie eine Ratte in einem Irrgarten. Aber es gab keinen Ausweg, und bald beruhigte er sich. Er war nichts als eine erschöpfte alte Ratte.
Er stieß den Schlüssel in die Zündung, hörte das Quietschen von Leder auf Leder – und spürte die eisige Mündung einer Waffe an seinem Hals.
»Keine Bewegung«, zischte jemand.
Die Beifahrertür wurde geöffnet. Ein Mann schnappte sich den kleinen Monitor, der auf dem Beifahrersitz lag, und stieg ein. Ein Stoß kalter Luft begleitete ihn, als wäre plötzlich die Tür zu einem Kühlraum geöffnet worden.
Der Mann warf ihm ein freundliches Lächeln zu. »Guten Abend, Mr Riggs.«
Er fragte sich, ob alles wirklich noch schlimmer werden könnte, als es ohnehin schon war. »Wer zum Teufel sind Sie?«
Der Mann betrachtete den Monitor und spielte ein wenig damit. »Wir sind uns nie vorgestellt worden, aber das Schicksal verbindet uns. Darf ich Sie Edward nennen?«
»Wenn Sie mein Geld wollen, ich habe kein …«
»Es hat mir wirklich Freude gemacht, Jesse Cahill hinzurichten, Edward«, sagte der Mann. »Ich sollte mich bei Ihnen auch für den netten Zeitvertreib danken.«
Das Blut gefror ihm in den Adern, und er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen. »Novak …«, flüsterte er.
Das Lächeln des anderen Mannes wurde breiter und zog tiefe Falten in sein verjüngtes altes Gesicht. Seine Augen glühten geradezu phosphoreszierend in der Dunkelheit.
Riggs kämpfte darum, seine Körperfunktionen unter Kontrolle zu behalten. »Was wollen Sie von mir?«
»Eigentlich mehrere Dinge«, erwiderte Novak. »Sie können damit anfangen, dass Sie mir alles über Raine Cameron erzählen, was Sie
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