Die Nacht Hat Viele Augen -1-
wehleidiger Feigling. So würde sie nicht enden. Sie war eine Lazar. Sie war nicht so weit gekommen und hatte so viel investiert, um als armseliges Opfer zu enden. Sie kämpfte sich auf die Füße und packte die Messinglampe am Kopf, damit sie den Standfuß als Keule benutzen konnte.
Dieser Mistkerl würde um ihr Blut kämpfen müssen.
Der Türknauf der Badezimmertür drehte sich, dann wurde daran gerüttelt. Sie bleckte die Zähne in einem stummen Knurren. Dann hob sie mit zitternden Händen die Lampe hoch über ihren Kopf und wartete.
Sie unterdrückte ein Wimmern, als der Kerl seine Schulter gegen die Tür rammte. Einmal, zweimal … mit einem Grunzen und gedämpften Flüchen. Das war eine Erleichterung. Offenbar war er zumindest sterblich, nicht irgendein Dämon aus einer Zwischenwelt. Das Monster der Corazon.
Die Tür krachte und gab splitternd nach. Er stürzte herein, eine riesige schwarz gekleidete Gestalt.
Mit aller Kraft schlug sie zu. Er fuhr herum, parierte den Hieb mit seinem Unterarm und heulte vor Wut. Er schleuderte sie gegen die Wand und presste ihr alle Luft aus den Lungen. Sie versuchte, zu Atem zu kommen, und verkrallte sich in seine Maske, die sein Gesicht bedeckte.
»Verdammtes Miststück«, zischte er. Seine blutunterlaufenen Augen starrten sie durch die Augenlöcher an. Er betäubte sie halb mit einem heftigen Schlag ins Gesicht. Als sie wieder Luft holen konnte, roch sie ihn. Es stank nach altem Schweiß, nach Alkohol … und nach Angst.
Der Alkohol erinnerte sie an ihren Vater. Onkel , korrigierte sie sich unwillkürlich. Was für ein alberner Gedanke in so einem Augenblick. Sie rang nach Atem.
»Warum?«, krächzte sie.
»Halt die Klappe.« Er packte sie hinten am Pullover und riss sie herum, dann zog er ihre Handgelenke brutal nach hinten. Er knallte sie mit dem Gesicht voran gegen die Wand. Sie spürte ein Knacken, dann floss ihr warmes Blut aus der Nase. Dann Schmerz. Alles wurde schwarz.
Seth lud die Waffe durch, während er auf die Eingangstür zustürmte. Abgeschlossen, natürlich. Die Panik verhinderte, dass er klar dachte. Er verfluchte die verlorenen Sekunden, während er die Schlüssel, die Raine ihm gegeben hatte, aus der Hose kramte. Er riss die Tür auf und rannte durch die Diele, die SIG im Anschlag. Am Fuß der Treppe blieb er abrupt stehen und starrte hinauf. Die Zeit schien stillzustehen.
Ein großer Mann mit einer Skimaske stand oben am Treppenabsatz, die Waffe in der Hand, und hielt Raine vor sich als Schutzschild. Ihre Augen waren geschlossen, Blut lief ihr aus der Nase, aber sie war am Leben … und in seiner Schusslinie.
Die Skimaske starrte zu ihm hinunter. Seth starrte hinauf. Beide warteten sie darauf, dass der andere etwas tat.
Dann schien die Welt zu explodieren. Die Skimaske stieß Raine von sich, die Treppe hinunter. Sie prallte gegen die Wand, versuchte, ihr Gleichgewicht zu halten, stolperte und stürzte.
Seth sprang vor, um sie aufzufangen. Ihr Gewicht und ihr Schwung rissen ihn mit, und gemeinsam krachten sie gegen den Treppenpfosten, der mitsamt einem Stück des Geländers wegbrach.
Raine landete auf ihm, rollte dann aber zur Seite.
Die Skimaske kam gleich hinter ihnen hergestürzt, stürmte durch die Schwingtür in die Küche und rannte durch die Garage aus dem Haus.
Seths Jagdinstinkt schrie danach, den Kerl zu verfolgen, aber als er sich auf die Knie erhob, sah er, dass Raine ganz still auf dem Teppich lag. Das Blut hob sich schrecklich grell von ihrer blassen Haut ab.
Er vergaß die Skimaske, vergaß Lazar, Novak, Jesse, alles. Panik verdrängte jeden weiteren Gedanken.
Er tastete nach ihrem Puls und hätte beinahe aufgeschluchzt, als er ihn fand. Stark und regelmäßig. Sanft ließ er seine Hände über ihren Körper gleiten, um zu fühlen, ob sie verletzt war. In diesem Moment begriff er, wie wertvoll und einzigartig sie war. Dass es nichts mit Schönheit oder Sex oder Macht zu tun hatte, dass er sie so schätzte, sondern damit, dass ihre Persönlichkeit einen Teil von ihm zum Leuchten brachte. Er bewunderte jeden Teil ihres Charakters, sowohl das winzige Baby, das sie einst gewesen war, wie auch die wunderschöne alte Dame, die sie einst sein würde.
Seths Herz klopfte und schien ihm fast aus der Brust zu springen, während er ihren Körper abtastete und immer wieder rau und flehend ihren Namen sagte, während in seinem Kopf die gleichen Sätze kreisten: Bitte wach auf, bitte sei gesund. Bitte lass mich jetzt nicht allein, da ich
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