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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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zitterte. Schon nach dem kurzen Sprint zum Bushäuschen war sie bis auf die Knochen nass gewesen. Die schönen Prada-Stiefel waren klamm, weil sie durch so viele Pützen hatte laufen müssen, aber sie spürte die Nässe kaum, denn sie war damit beschäftigt, über Victors Enthüllung nachzudenken.
    Er war ihr Vater. Wie konnte das möglich sein?
    Eins war sicher, sie würde nicht wagen, es Seth zu sagen. Seine Reaktion, als er erfahren hatte, dass sie Victors Nichte war, war schlimm genug gewesen. Sie zuckte erneut zusammen, wenn sie daran dachte, was er tun würde, wenn er erfuhr, dass sie Victors Tochter war.
    Aus dem Seitenfenster starrte sie auf die Ampel, die durch die regennasse Scheibe nur verzerrt zu erkennen war, und hoffte, dass Seth heute Abend nicht doch noch in ihr Haus stürmen würde. Sie hatte einfach nicht die Kraft, mit seiner Wut fertig zu werden. Sie hatte genug damit zu tun, die erschreckende Erkenntnis zu verarbeiten, die sich ihr bei der Berührung der Corazon-Waffe eröffnet hatte.
    Seth hatte sie gesagt, dass sie ihre Reaktion darauf nur vorgetäuscht habe, aber sie hatte gelogen. Die Waffe hatte in ihrer Hand vibriert wie ein gefangenes Tier. Gleichzeitig heiß und scheußlich kalt. Die Erinnerung daran gab ihr ein mulmiges Gefühl. Sie schlang die Arme um ihre Taille und versuchte, an etwas anderes zu denken. Adler, die am Himmel kreisten, schneebedeckte Berggipfel im Sonnenaufgang, das Meer.
    Kein Bild von ruhiger Schönheit war stark genug, um die Erinnerung an dieses Gefühl zu verdrängen. Es war wie ein Schlag in den Magen. Und die Bilder, die ihr durch den Kopf schossen … Weißer Teppich, verspritztes Blut, Tulpen verstreut auf dem Boden. Schreie. Oh Gott. Sie drückte die Hand auf ihren Bauch und fragte sich, wie lange es anhalten würde. Das war noch schlimmer als ihre Träume, weil man nicht daraus aufwachen konnte. Sie musste einfach die Zähne zusammenbeißen und es aushalten.
    Durch ihre Zusammenkunft mit Victor auf Stone Island war sie wie ein Radio auf diese neue Frequenz eingestellt worden. Ihre Nerven lagen blank, und sie fühlte sich aufgerissen und weit offen. Viel zu viele Informationen strömten auf sie ein. Vielleicht war es ihre überreizte Fantasie, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Lauter kleine sarkastische Stimmen kicherten in ihrem Hinterkopf über diesen lahmen Versuch, die Wirklichkeit zu verleugnen.
    Sie war Victors Tochter. Sie musste für ihren Onkel an ihrem Vater Rache nehmen, nicht andersherum. Sie wurde fast verrückt, wenn sie sich das klarmachte, aber nichts hatte sich wirklich verändert. Mord war Mord.
    Das Taxi hielt vor ihrem Haus, und sie seufzte erleichtert auf. Es würde dunkel und kalt sein, aber zumindest hatte sie dort ihre Ruhe. Mit ihren steifen Fingern war sie kaum in der Lage, das Geld aus ihrem Portemonnaie zu nehmen. Die Scheine und Münzen glitten ihr immer wieder aus den gefühllosen Händen. Dann stieg sie aus dem Taxi.
    Das Haus sah trostlos aus, fast bedrohlich. Die ungeschnittenen Hortensien wucherten wild und troffen vor Regen. Die Fenster rechts und links von der Eingangstür sahen ihr wie kalte, unfreundliche Augen entgegen.
    Sie fuhr herum, um den Taxifahrer zurückzuhalten, aber sie sah nur noch seine Rücklichter, die sich schnell entfernten. Sie konnte ihn nicht mehr einholen. Er bog um die Ecke und war verschwunden.
    Sei nicht so überspannt. Sei nicht albern. Lass deine Fantasie nicht mit dir durchgehen. Alix’ tadelnde Stimme hallte in ihrem Kopf wider, während sie langsam zum Haus ging. Es war leer, und ihr Wagen stand in der Garage. Wenn es ihr hier nicht gefiel, konnte sie hineingehen, sich die Autoschlüssel holen, ihren Koffer packen und in ein Hotel fahren.
    Das war eigentlich eine tolle Idee. Genau das würde sie tun. Sie ging so langsam auf das Haus zu, dass sich die ersten Regentropfen wie kleine kalte Finger einen Weg in ihren Mantelkragen bahnten.
    Nach dem heutigen Tag wäre es ein Wunder, wenn sie nicht paranoid werden würde, sagte sie sich und kramte ihre Schlüssel aus der Tasche. Im Haus klingelte das Telefon, aber es hatte sowieso keinen Sinn, sich zu beeilen. Ihre Finger wollten ihr einfach nicht gehorchen.
    Wie idiotisch von ihr, vor Seth wegzulaufen. Er mochte ja grob und schwierig sein, aber sie hätte alles darum gegeben, ihn jetzt an ihrer Seite zu haben und irgendeinen sarkastischen Kommentar von ihm zu hören, der sie wütend machte. Seine warme, zuverlässige Ausstrahlung würde alle

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