Die Nacht Hat Viele Augen -1-
sauer und schnippisch war, bloß nicht so bewegungslos. Oder schlimmer noch, wenn sie weinte. Gott, wie er das hasste.
»Ich möchte nach Hause, Seth. Ich brauche etwas Zeit für mich.«
»Träum weiter. Unter keinen Umständen werde ich dich allein lassen. Nicht nach dem, was heute passiert ist.«
Ihre Augen funkelten. »Seth, ich stehe so kurz vor einem Nervenzusammenbruch.« Sie zeigte ihm mit Daumen und Zeigefinger an, wie kurz. »Bring mich nach Hause, auf der Stelle!«
»Nach Hause ist eine ganz blöde Idee. Das fühle ich.«
»Ich fühle auch etwas, Seth. Viel zu viel. Aber im Moment muss ich mich einfach in meinem Zimmer einschließen und einfach aufs Bett legen. Und zwar allein.«
Er wechselte die Spur. »Du kannst dich im Hotel aufs Bett legen.«
»Nicht wenn du in der Nähe bist. Du nimmst einen großen Teil meiner Psyche in Anspruch, Seth Mackey. Nein. Dreh jetzt verdammt noch mal um und fahr mich nach Hause.«
»Dich quält der Gedanke, dass du deinen geliebten Onkel verraten hast, wie? Und das, nachdem er dir auch noch die hübsche Kette geschenkt hat.«
Sie starrte auf ihre zitternden Hände und ballte die Fäuste, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Mein Gott, du machst mich so wütend.«
»Die Wahrheit tut weh, nicht wahr?« Er konnte sich den spöttischen Unterton nicht verkneifen. »Victor ist vielleicht dein Onkel, und er ist vielleicht auch reich und mächtig, und vielleicht schenkt er dir schöne Dinge und behandelt dich wie eine Prinzessin, aber er ist ein Mörder, purer Abschaum, der alles verdient hat, was ihm bald passieren wird. Also, wenn du Gewissensbisse hast, verkneif sie dir. Warte, bis wir im Hotel sind. Da kannst du dich im Badezimmer einschließen und dein schlechtes Gewissen pflegen – und ich muss dir nicht dabei zusehen.«
»Gut.« Sie öffnete ihren Gurt und stieß die Tür auf.
Er hatte zu viel damit zu tun, den Wagen auf der regennassen Straße zum Stehen zu bringen, als dass er sie auch noch hätte packen können. »Wo zum Teufel willst du hin?«
»Irgendwohin, wo du mich nicht sehen musst.«
Raine knallte die Tür hinter sich zu und lief durch den Verkehr über die Straße.
Vor ihm sprang die Ampel auf Grün. Autos fuhren um ihn herum und hupten. Er versuchte, ihre Gestalt im Rückspiegel zu verfolgen, während sie den Mittelstreifen überquerte und dann auch die andere Fahrbahn.
Er verlor sie in der Dunkelheit aus den Augen, aber bei all den verdammten Autos konnte er nicht einfach sofort umdrehen, und als er es dann doch endlich geschafft hatte, war sie verschwunden.
Er fluchte vor Wut und schlug auf das Lenkrad ein. Andere Autofahrer warfen ihm nervöse Seitenblicke zu. Einer ließ ihn kaum aus den Augen, während er aufgeregt in ein Handy sprach. Seth griff nach seinem eigenen und rief Connor an.
Connor nahm sofort ab. »Es wird aber auch Zeit, dass du dich meldest«, fuhr er ihn an. »Ich habe dir bereits sechs Nachrichten hinterlassen, und wir müssen …«
»Connor, tu mir einen Gefallen. Fahr die Überwachung von Raines Haus hoch. Sofort. Und lass die Monitore nicht aus den Augen, bis ich dort bin.«
Es folgte ein überraschtes Schweigen. »Dir muss ja wirklich die Kacke um die Ohren geflogen sein, wenn du mich Connor nennst«, stellte er dann bedächtig fest.
»Keine Zeit für kluge Sprüche. Ich folge ihr nach Hause, aber sie hat einen zu großen Vorsprung, und ich hab ein ganz mieses Gefühl im Bauch.«
»Okay, ich hab’s kapiert«, erwiderte Connor sachlich. »Bis später.«
Es klickte, die Verbindung war unterbrochen. Seth holte den transportablen Monitor aus dem Handschuhfach. Da war sie, aber fast außer seiner Reichweite. Er ließ den kleinen Bildschirm in seinen Schoß fallen und konzentrierte sich darauf, viel zu schnell zu fahren, worin er zum Glück eine ganze Menge Erfahrung hatte. Er schlängelte sich im Zickzack durch den Verkehr und ignorierte das wütende Gehupe, während er hoffte, dass ihn kein Cop entdecken würde.
Das Handy klingelte. Sein Magen zog sich zusammen. »Ja?«
»In der Templeton Street sieht es ganz schlecht aus.« Connors Stimme klang hart und angespannt. »Deine Kleine hat Besuch in der Garage. Schwarze Skimaske und eine Waffe. Du bist von uns allen am nächsten dran. Gib Gas!«
Sie hatte geglaubt, wenn sie Seths Spott und Hohn hinter sich lassen könnte, würde sie sich besser fühlen. Aber was für eine Überraschung … sie fühlte sich schlechter.
Sie saß auf der Rückbank des Taxis und
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