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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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eingetroffen war, hatte sie als Erstes einen Brief dorthin geschickt und eine Kopie des Autopsieberichtes ihres Vaters erbeten. Mit zitternden Händen öffnete sie den Umschlag.
    Es war genau so, wie man es ihr gesagt hatte: Tod durch Ertrinken. Sie überflog die Seiten und versuchte, ruhig zu bleiben und klar zu denken. Diverse Proben von Organen und Geweben, chemische und toxikologische Analysen, Flüssigkeiten aus dem Magen, der Lunge, der Blase und Ähnliches waren aufgeführt. Sie starrte auf den Packen Papier und fühlte sich kalt und leer und sehr allein. Der Bericht enthüllte nichts und ließ auch nichts offen. Der Name der Pathologin, die ihn unterschrieben hatte, war Serena Fischer.
    Das Telefon klingelte, und Raine zuckte zusammen. Keiner ihrer Freunde hatte die Nummer. Es konnte nur ihre Mutter sein. Sie griff nach dem Hörer. »Hallo?«
    »Endlich erwische ich dich mal zu Hause.«
    Der verletzte, vorwurfsvolle Ton ihrer Mutter schlug ihr gleich auf den Magen. »Hallo Alix.«
    »Ich habe immer und immer wieder angerufen, Honey, und du bist nie zu Hause! Ich habe mehr Nachrichten hinterlassen, als ich zählen könnte, aber natürlich hast du nicht zurückgerufen. Was um Himmels willen machst du den ganzen Tag und das auch noch jeden Tag?«
    Mit einem stillen Seufzer ließ Raine ihre Handtasche auf den Boden fallen. Das Letzte, was sie nach einem Vierzehn-Stunden-Arbeitstag in den Salzminen von Lazar Import und Export gebrauchen konnte, war ein Gespräch mit ihrer Mutter. Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und hängte ihn auf, während sie über Entschuldigungen und Erklärungen nachdachte. »Ach, alles Mögliche. Ich … äh … war neulich auf einer Bootsfahrt. Es hat natürlich geregnet. Aber es war wunderschön. Ich war ein bisschen shoppen. Dann natürlich Bewerbungsgespräche. Und ich hab ein paar nette Leute kennengelernt.«
    »Ein paar nette männliche Leute?«
    Die Erinnerung an Seth Mackeys heißen Atem, der über ihren Hals strich, stieg in ihr auf. Sie unterdrückte ein Kichern. Seth Mackey war vielleicht vieles, aber nett war er mit Sicherheit nicht. Was auch okay war. Falls sie eine Chance mit ihm bekam, hatte sie nicht vor, sich wie eine Dame zu benehmen. »Nein … keine männlichen Leute«, murmelte sie.
    »Ah.« Ihre Mutter klang enttäuscht, aber nicht überrascht. »Nun ja, ich nehme auch nicht an, dass du dir in dieser Hinsicht besonders viel Mühe gibst. Das tust du ja, leider Gottes, nie.«
    Es entstand eine erwartungsvolle Pause, als ihre Mutter damit rechnete, dass sie etwas erwidern würde. Es war das Zeichen, einen ermüdenden und nur allzu vertrauten Streit zu beginnen. Doch Raine schwieg dickköpfig. Sie war einfach zu erschöpft, um auf das Spiel einzugehen.
    Alix Cameron stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. »Ich kann einfach nicht verstehen, warum du ausgerechnet nach Seattle gegangen bist«, beschwerte sie sich. »So von gestern. Und immer grau und feucht.«
    »London ist auch grau und feucht«, bemerkte Raine. »Und du bist seit Jahrzehnten nicht mehr hier gewesen, Mutter. Seattle ist ausgesprochen hip.«
    Alix gab einen zweifelnden Laut von sich. »Bitte nenn mich nicht so, Raine. Du weißt, dass ich mich dann alt fühle.«
    Raine verkniff sich einen Vorwurf. Es war im Laufe der Jahre eine niemals endende Herausforderung geblieben, sich die ständig wechselnden Namen ihrer Mutter zu merken. Sie war dankbar gewesen, als Alix beschlossen hatte, es zu riskieren, wieder ihren ursprünglichen Namen anzunehmen. Das war sehr viel einfacher, als sich alle zwei Monate an einen neuen zu gewöhnen.
    Raine starrte auf den Autopsiebericht, der auf dem Telefontischchen lag, und traf eine schnelle Entscheidung. Sie holte tief Luft und spürte, wie sich ihr Bauch zusammenzog. »Alix, ich wollte dich gern was fragen …«
    »Ja, Honey?«
    »Wo liegt Dad eigentlich begraben?«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte entsetztes Schweigen. »Gott im Himmel, Lorraine.« Alix’ Stimme klang erstickt.
    »Es ist eine begründete Frage. Ich möchte ihm gern meinen Respekt erweisen. Ein paar Blumen hinbringen.«
    Raine wartete so lange, dass sie sich schon zu fragen begann, ob die Verbindung unterbrochen worden war. Als Alix schließlich antwortete, klang ihre Stimme sehr alt. »Ich weiß es nicht.«
    Raine blieb der Mund offen stehen. »Du weißt es nicht …«
    »Wir waren im Ausland, erinnerst du dich? Wir sind nie zurückgekommen. Woher sollte ich es wissen?«
    »Wie kannst du es nicht

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