Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
Vom Netzwerk:
wissen?«, flüsterte Raine unhörbar. Sie presste ihre Hand auf den Knoten in ihrem Bauch. »Ich verstehe.«
    »Ich nehme an, du könntest das in den Polizeiakten finden«, meinte ihre Mutter. »Ruf die Friedhöfe an. Irgendeinen Weg muss es doch geben.«
    »Ja, muss es«, wiederholte Raine.
    Am anderen Ende ertönte ein erstickter, schluchzender Laut, dann sprach ihre Mutter wieder, und ihre Stimme war voller Tränen. »Honey, wir waren in Positano an der Amalfiküste. Erinnerst du dich an die Kinder der Rossinis, mit denen du am Strand gespielt hast? Gaetano und Enza? Da waren wir, als wir die Nachricht erhielten. Ruf Mariangela an. Sie musste den Arzt holen, damit er mir eine Beruhigungsspritze gab, als ich es erfuhr. Ruf sie an, wenn du mir nicht glaubst.«
    »Natürlich glaube ich dir«, beruhigte Raine ihre Mutter. »Es ist nur so, dass ich immer wieder diesen Traum habe …«
    »Oh Gott, jetzt sag mir aber nicht, dass du wieder Traum und Wirklichkeit durcheinanderbringst wie als Kind! Das hat mich krank gemacht vor Sorge! Sag mir das nicht, Lorraine!«
    »Okay«, erwiderte Raine knapp. »Ich sage es dir nicht.«
    »Es sind nur Träume, Lorraine! Das ist nicht die Wirklichkeit! Hast du gehört?«
    Raine verzog das Gesicht und hielt den Hörer vom Ohr weg. »Ja«, erwiderte sie. »Nur Träume. Beruhig dich, Alix.«
    Alix schniefte laut. »Sag mir, dass du nicht nach Seattle gegangen bist, um in alten Wunden herumzubohren, Honey! Lass die Vergangenheit ruhen. Du bist ein so kluges Mädchen, du hast so viel Potenzial! Sag mir, dass du in die Zukunft siehst!«
    »Ich sehe in die Zukunft«, erwiderte Raine pflichtschuldig.
    »Wage es nicht, frech zu mir zu werden, junge Dame.«
    »Tut mir leid«, murmelte sie. Sie brauchte noch mehrere Minuten, um ihre Mutter zu beschwichtigen und das Gespräch zu beenden. Als sie schließlich auflegte, krallte sie die Hand in ihren Magen und verabschiedete sich von dem Gedanken, sich ein Sandwich zu machen. Wie gewöhnlich zog sich ihr Magen zu einem festen, schmerzenden Ball zusammen, wenn sie lügen musste, aber es gab keine Alternative. Sie war im Begriff, die schlimmste aller möglichen Verfehlungen zu begehen. Sie würde sämtliche Leichen aus dem Keller hervorzerren, und wenn sie einen Bagger brauchte, damit ihr das gelang.
    Sie hängte ihren Mantel auf und dachte über die Worte ihrer Mutter nach. An die Tage nach dem Tod ihres Vaters konnte sie sich nur sehr verschwommen erinnern, sie waren von Trauer überschattet, und als sie wieder angefangen hatte, ihre Umgebung wahrzunehmen, hatte sie sich bereits in einem anderen Land mit einem neuen Namen befunden. Aber eins war sicher – sie konnte sich nicht daran erinnern, die Nachricht in Positano erhalten zu haben. Dabei wäre dies doch sicher ein Augenblick gewesen, der sich in ihr Gedächtnis gemeißelt hätte wie eine Inschrift in Stein, jedes Detail lebendig und unveränderbar.
    Sie hatte niemals das wirkliche Grab ihres Vaters gesehen. Wenn sie wüsste, dass es anders aussah als in ihrem Traum, würde die Bedrohlichkeit vielleicht verschwinden. Auf der anderen Seite … was wäre, wenn es mit der Realität übereinstimmte?
    Ihr Magen verknotete sich erneut, als sie an die Folgen dachte, und sie schob den unheimlichen Gedanken beiseite. Es war jetzt nicht die Zeit, sich verrückt zu machen. Sie war ohnehin schon nervös genug und musste sich auf das Positive konzentrieren. Die Begegnung mit Seth Mackey und Victor hatte endlich etwas ins Rollen gebracht. Das war gut. Es bedeutete Fortschritt. Sie musste sich entscheiden, was sie am nächsten Tag anziehen wollte.
    Vor allem musste sie aber entscheiden, was sie morgen tun würde.
    Die Erregung, die sie durchflutete, war so heftig, dass sie in die Luft sprang und laut auflachte. Sie lief ins Schlafzimmer und musterte sich eingehend im Spiegel ihres Schminktischs und versuchte sich vorzustellen, was Seth Mackey sah, wenn er sie betrachtete. Offensichtlich etwas, das er wollte, aber es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, was genau das war. Sie sah nichts als die gute alte Raine.
    Es war dumm und schlechtes Timing, ausgerechnet jetzt, da sie sowieso kurz vor einer Katastrophe stand, ihrer Lust nachzugeben. Aber hey, schlechtes Timing und armseliges Urteilsvermögen waren schon immer ihre ständigen Begleiter gewesen, wenn es um ihr Liebesleben ging. Man brauchte sich nur Frederick Howe und Juan Carlos anzusehen.
    Diese vielen Jahre des Herumreisens waren für die Entstehung von

Weitere Kostenlose Bücher