Die Nacht im Stau (German Edition)
Robert: „Ich gehe nachher noch zum Arzt. Den Termin habe ich schon heute Morgen ausgemacht. Er soll mir Vitamintabletten verschreiben. Dann ess ich wieder mehr und damit wird es auch auf sexuellem Gebiet besser.“
Sonja schaute ihn überrascht an. Robert hielt den Blick zu Boden gesenkt und starrte auf ihren Teppich.
Wie oft hatten sie sich hier in diesem Zi mmerchen geliebt! Spaß hatten sie dabei gehabt, es war nie langweilig geworden. Und doch, in letzter Zeit war Robert deutlich zurückhaltender gewesen. Manchmal war sie enttäuscht. Ja, in solchen Fällen hatte sie eine kleine Stichelei fallen lassen. Er sei einfach zu müde, war seine Antwort gewesen. Im Labor hätten sie den ganzen Tag nur Stress gehabt. Das zu glauben fiel Sonja schwer. Wie konnte ein so junger Mann von einer sitzenden Arbeit im Labor müde und schlapp sein? Bedeutete seine Lustlosigkeit nicht vielleicht ein Nachlassen seiner Liebe?
Unsinn, hatte er geantwor tet, und sich beim nächsten Mal wieder mächtig ins Zeug gelegt.
Sie wollte etwas erwidern , erklären, dass ihr die damaligen Sticheleien Leid täten, dass das wirklich kein Problem sei, aber Robert unterbrach sie.
Er werde in Zukunft seine alten Freunde nicht mehr tref fen, kündigte er an. Sie hätte ja Recht. Die würden ihn nur nach unten ziehen. Nur wenn er mit denen zusammen sei, würde er immer so viel trinken und rauchen. Er würde mit ihr in Galerien gehen, so wie sie es sich oft gewünscht hätte, er würde ihre Bücher lesen…Ja, und er würde versuchen reifer zu werden. Wie, das wusste er selber noch nicht.
In Sonja verkrampfte sich alles. Keine Minute länger würde sie dieses Versteckspiel aushalten. Wie schämte sie sich auf einmal, diesen großen lieben Jungen ins Gesicht zu belügen, ihn zu hintergehen, der ihr jetzt, wo es kritisch wurde, so ungemein entgegenkam.
„G ut“, begann sie. „Ich wollte es dir noch nicht sagen, weil ich nicht weiß, ob es etwas Ernstes ist: Ich habe an der PH jemanden kennen gelernt.“
„Als o doch!“ Robert sank in sich zusammen, wie eine jener Luftfiguren, die man oft an Hüpfburgen für Kinder sehen konnte. Gleichzeitig begann an seinem Fingernagelbett herum zu zupfen. Sonja hasste das, aber sie schwieg.
„Liebst du ihn?“
„Ich weiß es nicht genau.“
Ganz langsam hob er den Kopf und sah sie voller Verzweiflung an. Sie merkte, dass er mit den Tränen kämpfte.
Leise sagte er: „Vor vier Wochen hast noch zu mir gesagt, du würdest mich lieben. Das kann sich doch nicht so schnell ändern, oder?“
Nein, dachte sie, kann es eigentlich nicht. Das Dumme war nur, dass sie sich nie sicher gewesen war ob sie ihn wirklich liebte. Er war im Großen und Ganzen ein liebenswerter Mensch, war handwerklich begabt, sie hatten gute Phasen gehabt. Aber war das wirklich Liebe?
„Ich bin einfach durcheinander. Das wird mir alles zu viel, unsere dauernden Streitere ien.“
Roberts Worte hatten sie wirklich nachdenklich gestimmt. Er liebte sie, sonst hätte er nie diese grundlegenden Versprechen gemacht. Ihr war während dieses Gesprächs auch bewusst geworden, dass sie ihn immer noch sehr gern hatte. Die zweieinhalb Jahre, die sie sich nun kannten, konnte man nicht so einfach vom Tisch wischen. Gemeinsame Urlaube, wunderschöne Erlebnisse, ihre Verlobung, seine Zärtlichkeiten, … nun seine Verletzlichkeit. Und da war ja auch die Verantwortung, die sie ihm gegenüber trug.
Die Jahre des Zusammenseins mit Robert hatten sie sicherer gemacht, ihr Selbstwertgefühl gegeben, etwas, das seit dem Tod ihres Vaters durch die herrische, gewaltbereite Mutter völlig zerstört worden war.
Doch nun war da dieser Neue in ihr Leben getreten, der goldfarben glänzte im Vergleich zu dem grauen, schon so gut bekannten Robert. Mit Dieter, Sohn eines Rechtsanwalts, hatte sie nicht nur einen niveauvollen Mann gefunden, zu dem sie aufschauen konnte. Mit ihm wäre sicher auch finanziell der sehnsüchtig gewünschte Aufstieg eher möglich als mit Robert. Den Beginn ihres eigenen, besseren Lebens hatte Sonja ja schon mit dem Auszug aus der Sozialwohnung geschaffen, die sie mit ihrer Mutter bewohnt hatte. Das Studium eröffnete ihr eine bessere Zukunft. Mit Dieter an ihrer Seite könnte das alles viel leichter werden. Sie wollte dieser neuen Beziehung unbedingt eine Chance geben.
Verstohlen warf Sonja einen Blick auf die Uhr und erschrak. Sie musste sich jetzt wirklich sputen.
„Versprich mir, dass du dich an diesem Wochenende nicht be trinkst“.
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